Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Selbstdarstellung! Mehr eine päpstliche Pflichtübung als eine echte ökumenische Begegnung. Die würde ja einen Dialog auf Augenhöhe erfordern. Zwar besucht dieser Papst 2006 den ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel , dem »Zweiten Rom«. Aber statt ökumenischer Taten wird wieder einmal eine ökumenische Kommission gebildet, die sich mit den Sakramenten, bisher weithin mit den Orthodoxen gemeinsam, beschäftigen soll. Die eigentlich kirchentrennende Frage aber – Herrschaftsprimat und Unfehlbarkeit für das römische Papstamt – bleibt ausgeklammert. Römische Beschäftigungstherapie und Beruhigungspillen.
Noch enttäuschender verlaufen die ersten Begegnungen Johannes Pauls II. mit protestantischen Kirchenführern auf seinen Reisen. Sie haben die ökumenische Atmosphäre gerade in Polen, Irland und den Vereinigten Staaten nicht nur nicht verbessert, sondern erheblich verschlechtert. Statt ökumenischer Dialoge päpstliche Monologe. Kritische Herausforderungen, wie in den USA und in Frankreich erfolgt, werden einfach nicht zur Kenntnis genommen. Oft hat der andauernd nach allen Seiten Beifall heischende Papst nicht einmal Zeit, die anderen Kirchenführer auch nur anzuhören. In Irland etwa (September 1979) mussten die Presbyterianer die vorbereitete Ansprache dem päpstlichen Sekretär übergeben und bekamen erst fünf Monate später eine Antwort. In Amerika kam es zu ähnlichen Peinlichkeiten, Folgen römischer Arroganz und Ineffizienz.
Vor dem ersten Deutschlandbesuch des Papstes 1980 führen entwürdigende wochenlange Vorverhandlungen schließlich zur Genehmigung von 60 Minuten Audienz für die evangelischen Kirchenführer. Mit welchem Resultat? Auch hier wieder nur eine neue Kommission. Was manche »kirchliche« wie »liberale« Jubeljournalisten als ökumenisches Ereignis feiern, erweist sich bald als eine ökumenische Vernebelungsaktion. Hatten doch in den letzten anderthalb Jahrzehnten wahrhaftig schon genügend ökumenische Kommissionen getagt, sogar eine lutherisch-römische Kommission mit offiziellem Status, die 1971 das hervorragende »Malta-Papier« verabschiedete, das dann freilich – da die Ergebnisse den römischen Machtansprüchen nicht entsprachen – im Vatikan sogleich in der Schublade verschwand. Seither nenne ich das eine Politik der Schubladisierung. Man lässt in Rom machen – und verschwinden! Dabei wäre es ein wirkliches ökumenisches Ereignis gewesen, wenn ein Papst bei seinem ersten Besuch gerade im Lande Martin Luthers mit Berufung auf die bisher geleisteten Kommissionsarbeiten – darunter das Memorandum unserer ökumenischen Universitätsinstitute vom Jahre 1973 – die Anerkennung der protestantischen Ämter und Abendmahlsfeiern verkündet hätte. Oder wenn er etwas Hilfreiches gesagt hätte zu Fragen wie konfessionsverschiedene Ehe oder religiöse Kindererziehung oder ökumenischer Religionsunterricht. Fragen, die für Millionen Menschen belastend sind. Doch nichts von alledem.
Aber wer nun erwartet hatte, die evangelischen Kirchenführer würden diese Streitfragen dem Papst gegenüber unpolemisch, aber mit lutherischem Freimut ansprechen, sah sich getäuscht: Statt freundlich klare evangelisch begründete Forderungen zu stellen, üben sich die protestantischen Kirchenführer in Diplomatie und Schweigen. Nur ja den »Löwen« nicht reizen. Als würde solche Offenheit die ökumenische Zusammenarbeit behindern und gar blockieren. Schon länger habe ich den Eindruck: Protestantische Bischöfe überlassen heutzutage den reformatorischen Protest gerne Reformkatholiken. Statt auch nur in einem Punkt zu protestieren, lassen sie sich lieber mit dem Papst photographieren. Ja, einzelne lutherische Bischöfe legen sich heutzutage jenes steife Kollar (Kragen) römischer Kleriker zu, das unsereiner sieben Jahre in Rom getragen hat – später froh darüber, dass dieses Symbol klerikaler Verkalkung mit dem Konzil im katholischen Klerus weithin außer Brauch kam. Verhinderte Kardinäle? Paradoxerweise scheint dieses Kollar (womöglich noch mit violettem oder rotem Lätzchen) heutzutage für einen lutherischen Bischof, der Minderwertigkeitsgefühle gegenüber katholischen Prälaten zu haben scheint, ein sichtbares Zeichen gültiger Weihe zu sein, wiewohl gerade diese von Rom konstant bestritten wird. Im Juli 2000 wird die Nichtanerkennung ihrer Ämter diesen protestantischen Leisetretern durch die Erklärung »Dominus Iesus« der Glaubenskongregation mit päpstlicher Approbation
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