Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
ohne näheren Anlass und ohne ernsthafte Begründung bestätigt. Für mich ist dies wie für viele Evangelische und Katholiken eine eklatante Desavouierung der unevangelischen Anbiederung protestantischer Kirchenführer. Wie von katholischen Bischöfen erhielt ich auch von evangelischen kaum Unterstützung; sporadische Begegnungen blieben oberflächlich.
Doch um der kirchlichen Ordnung und eines faulen ökumenischen Friedens willen, aus Konfliktangst und Sorge um Veränderungen im eigenen konfessionellen Lager betreibt man von amtskirchlicher evangelischer Seite weiterhin eine unheilige Allianz mit den katholischen Bischofskollegen: eine verhängnisvolle ökumenische Schweigespirale zum Schutz des beidseitigen konfessionellen Status quo – zulasten der betroffenen Menschen und Gemeinden. Ein »Alibi-Ökumenismus«, wie der dänische Lutheraner Prof. PETER HØJEN formuliert, in welchem die Kirchenbürokratien auf beiden Seiten allein und unbekümmert um das Volk über die zu beachtenden konfessionellen Grenzen – etwa in der Frage der eucharistischen Gastfreundschaft – zu befinden beanspruchen. Meist in vertraulichen Absprachen werden ökumenische Betätigungsfelder, insbesondere für gemeinsame soziale Proklamationen, Aktionen und Pressionen gesucht, gilt es doch, gemeinsame, nicht zuletzt finanzielle Interessen gegenüber dem Staat und einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft durchzusetzen. Zugleich verhindert man jedoch auf beiden Seiten, dass die Christen und Gemeinden in den entscheidenden Bereichen, nämlich im christlichen Glauben und Leben, Gottesdienst und Religionsunterricht wirklich zusammenkommen. Mit einer gemeinsamen ökumenischen Bibelübersetzung scheint das Reservoir mutiger ökumenischer Annäherungsversuche erschöpft zu sein, und auch sie wird später von beiden Seiten wieder infrage gestellt.
Folgenschwere bischöfliche Fehlbesetzungen
Wollte man von all den Bischofsernennungen unter dem Pontifikat Johannes Pauls II. schreiben, die sich als Fehlbesetzungen erwiesen, müsste man ein dickes Buch verfassen. Waren doch die Kriterien der Auswahl nicht in erster Linie administrative Qualität, pastorale Kompetenz, theologische Bildung und menschliche Ausstrahlung, sondern römische Linientreue, »Gehorsam« genannt. Der Kandidat musste von vornherein gegen Empfängnisverhütung und Frauenordination und zugleich für Zölibat und genaue Dogmentreue Stellung genommen haben.
Auf diese Weise wurden viele harmlos-mediokre Personen den fähigeren, aber unbequemen vorgezogen. Die kritische französische Zeitschrift »Golias« hat mit nicht geringen Mühen durch Gläubigenbefragungen eine Evaluation der Bischöfe Frankreichs durchgeführt und veröffentlicht, die wenig schmeichelhaft ausfiel. Da sehnt man sich in Frankreich nach den großen Kardinälen der Jahrhundertmitte zurück: Suhard, Gerlier, Liénart; Letzterer hatte mir für die französische Ausgabe von »Konzil und Wiedervereinigung« das Vorwort geschrieben.
Aber noch schlimmer steht es im deutschen Sprachraum – ganz zu schweigen vom holländischen mit dem schon früher berichteten Fall Bischof Gijsen. Dabei war es noch das geringere Übel, dass für den (politisch wie finanziell gewichtigen) Erzbischofsitz von Köln gegen den Willen des Domkapitels und unter Missachtung der Wahlordnung der als konservativ bekannte Wojtyła-Freund und Berliner Erzbischof JOACHIM MEISNER nach wochenlangen Querelen dem Erzbistum schlicht oktroyiert wurde. Bis heute hat er die Herzen der Kölner und des Kölner Klerus nicht gewinnen können, wiewohl er auch Papst Benedikt bei seinem Besuch in Köln wie ein Höfling umschwänzelte und sich wichtig machte.
Schlimmer ist der Fall seines Kollegen auf dem wichtigsten Bischofsstuhl von Österreich und Vorsitzenden der Bischofskonferenz: Kardinal HANS HERMANN GROËR , den Papst Wojtyła als frommen, marianisch gesinnten Wallfahrtsseelsorger zum Erzbischof von Wien gemacht hat. Wegen weit zurückliegender sexueller Vergehen an Minderjährigen, die erst 1995 aufgedeckt wurden, muss er schließlich angesichts der ständig angeschwollenen Opposition im selben Jahr das Amt aufgeben und sich in ein Kloster zurückziehen. Welch eine Schande für ein so stolzes katholisches Land wie Österreich, das zur Konzilszeit in Kardinal FRANZ KÖNIG einen so überzeugenden Repräsentanten besaß. Die Affäre Groër gibt an der Basis den Impuls zum KirchenVolksBegehren der Initiative »Wir sind Kirche«, die für ihre
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