Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Reformforderungen allein in Österreich 500.000 Unterschriften sammelte.
Schwerwiegend ist auch der Fall des Bischofs WOLFGANG HAAS , der unter Missachtung schweizerischer Freiheitsrechte zum Bischof der Diözese Chur gemacht wird, zu der auch die größte Schweizer Stadt Zürich gehört. Durch seinen autoritären Führungsstil, seine dogmatische Amtsausübung und vatikantreuen Personalentscheidungen macht er sich derart unbeliebt, dass die Zürcher Kantonalsynode die finanzielle Unterstützung für ihn streicht. Das ist die Sprache, die auch der Vatikan versteht, der aber dann die Angelegenheit mit der immer mehr um sich greifenden Amtswillkür regelt. Man will den unfähigen Haas nicht einfach absetzen, sondern verfährt nach dem traditionellen römischen Prinzip »Promoveatur ut amoveatur – er möge befördert, um abgeschoben zu werden«.
Doch wer hätte es für möglich gehalten: Man schafft für den im Fürstentum Liechtenstein geborenen Haas – natürlich in geheimer Kooperation mit dem erzkonservativen Fürstenhaus – 1997 ein neues Bistum, nein, sogar ein Erzbistum Vaduz, und dies für insgesamt 35.000 Einwohner, von denen etwa 80 Prozent noch formal Katholiken sind. Diese sind fast durchgängig gegen ein eigenes Erzbistum, losgelöst vom uralten schweizerischen Bistum Chur. Und die Folgen sind denn auch typisch für dieses autoritäre kirchliche Willkürregime: Der neue Erzbischof zerschneidet rasch die hergebrachten Bande zwischen Kirche und Gläubigen, errichtet eine stark hierarchische Führung und sperrt sich gegen die Schaffung von Kirchengemeinderäten. Es kommt faktisch zum Schisma: Ein katholischer Verein Offene Kirche nimmt mittlerweile auch pastorale Aufgaben wahr. Und die liechtensteinischen Kirchen bleiben mehrheitlich leer. Nur wenn der Erzbischof selber die Messe liest, werden mit Bussen konservative Katholiken aus den umliegenden Ländern herangekarrt. So ruiniert man eine Kirche.
Eine weitere unglückliche Bischofsernennung betraf mein Schweizer Heimatbistum Basel, wo der bis dahin fortschrittliche Theologieprofessor KURT KOCH 1995 durch das Domkapitel zum Bischof gewählt wurde. Kurt Koch hatte anlässlich der Verleihung des Kulturpreises der Innerschweiz 1991 eine beeindruckende Laudatio auf mich gehalten, die in der Forderung kulminierte: »… die katholische Rehabilitation des Christenmenschen Hans Küng und seines theologischen Werkes noch zu seinen Lebzeiten …« Aber sofort mit der Wahl und der gegen alle Traditionen in Rom vorgenommenen Bischofsweihe änderte sich seine Einstellung grundlegend, und aus dem fortschrittlichen Theologen wurde ein reaktionärer Bischof. Von meiner Rehabilitation keine Rede mehr, im Gegenteil. Seine Amtszeit war von großen Kontroversen, auch über das schweizerische Staatskirchenrecht, überschattet. So waren denn viele froh, dass er überraschenderweise im Juli 2010 seinen Rücktritt als Bischof von Basel ankündigte, einen Posten in der römischen Kurie übernahm und als Präsident des Sekretariats für die Einheit der Christen natürlich bald zum Kardinal befördert wurde – für viele höhere Kleriker das Höchste der Gefühle. Ihm habe ich ein kleines Kapitel im Buch »Ist die Kirche noch zu retten?« gewidmet unter dem Titel: »Wie man ›modo Romano‹ Karriere machen kann«. Koch ist dafür ein nicht nur für Schweizer Demokraten fatales Beispiel.
Schließlich der Skandal um den Bischof von St. Pölten, KURT KRENN . Dieser, kurz nach mir im Collegium Germanicum, hat sich schon früh bei Papst Wojtyła dadurch beliebt gemacht, dass er ein Seminar über seine Bücher abgehalten hat und es ihn auch wissen ließ. Daher wurde er vom Papst zum Essen eingeladen: »Herr Professor, ich habe viel von Ihnen zu lernen«, verbreitete Krenn anschließend als Ausspruch des Papstes. 1991 wird der Karrierist, wie zu erwarten, Bischof von St. Pölten mit der Aussicht, schließlich Erzbischof von Wien zu werden. Sein Priesterseminar wird ein Zentrum für konservative Seminaristen. Doch bald gibt es Berichte über homosexuelle Handlungen von Seminaristen und Vorgesetzten. Auf einem Computer findet man pornographische Photos. Dieser Skandal führt schließlich nach langen Auseinandersetzungen zur Ablösung des unbedingt romtreuen Krenn; man hätte ihm ein anderes Alter gewünscht als eines in Verachtung und Vereinsamung. Sein Nachfolger enthebt 2004 Regens und Subregens des Seminars von allen Funktionen. Beide appellieren an den Vatikan, aber nach
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