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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Ökumene arbeiten will.
    Schon am nächsten Tag (6. 11.) fliege ich nach Los Angeles und halte um 13 Uhr an der University of California (UCLA) meinen Vortrag über »Science and the Problem of God«. Noch am selben Abend fliege ich weiter nach Dallas . Die ganze Reise über beschäftigt und bedrückt mich indes ein unbegreifliches Versehen, das mir bei meiner Reisevorbereitung in Tübingen unterlaufen war – nicht aus Nachlässigkeit, sondern eher aus Gründlichkeit. Ich muss ja auf solche Reisen mit vielen öffentlichen Auftritten vor großen und kleinen Gremien, vor theologisch oder allgemein interessiertem Publikum, stets mehrere Manuskripte mitnehmen. Diese werden regelmäßig von Father EDWARD QUINN in Sheffield in perfektes Englisch übersetzt. Dann lege ich sie alle auf einen Stapel. Die Tage unmittelbar vor der Abreise waren wie so oft hektisch, und am letzten Tag war es spät geworden. Da wollte ich den stets hilfsbereiten Karl-Josef Kuschel nicht noch dazu drängen, mit mir all die Manuskripte noch einmal einer letzten Kontrolle zu unterziehen. Ich war der festen Überzeugung, dass ich alle wichtigen Manuskripte beisammenhatte, und zwar zur Sicherheit im Doppel, je ein Exemplar im Koffer und ein Exemplar im Handgepäck …
    Nach dem Start in Stuttgart nehme ich meine Manuskripte aus der Aktentasche. Da läuft es mir eiskalt über den Rücken: Ich muss das Dallas-Manuskript vergessen haben! Schon beim Umsteigen in Frankfurt telefoniere ich nach Tübingen, aber man findet nichts. Man verspricht mir, alles zu tun, um das Manuskript womöglich nach Dallas zu schicken. Aber es gibt noch kein Fax und kein E-Mail. Und als ich in San Francisco ankomme, erlischt im Hotel auch die letzte Hoffnung, eine Kopie des Manuskripts fände sich im Koffer. Doch das Allerschlimmste: Man findet in Tübingen schließlich ein deutsches, aber kein englisches Manuskript. Jetzt plötzlich dämmert mir: Vor mehreren Wochen hatte ich dieses deutsche Manuskript bereit gemacht, hatte es aber so wichtig genommen, dass ich an ihm noch Korrekturen anbringen wollte, bevor ich es an den Übersetzer schicken würde. Doch völlig absorbiert durch meine ersten Studium-generale-Vorlesungen, die sich genau mit der in Dallas zu behandelnden Problematik des Paradigmenwechsels beschäftigten, war mir vor der Abreise gar nicht eingefallen, dass ich noch nicht über eine englische Übersetzung dieses einen Manuskripts verfügte.
    Jetzt aber in Dallas meine Rede über die komplexen Fragen des Paradigmenwechsels vor einem Publikum von weit mehr als 1000 Gelehrten auf Englisch zu improvisieren? Dies erscheint mir völlig unmöglich. Eine Situation zum Verzweifeln. Noch nie ist mir Derartiges passiert. Sie lässt mir keine andere Wahl, als in Dallas vor dem viel mehr philosophisch und allgemein wissenschaftlich orientierten Publikum den theologischen Vortrag »To what we still can cling (Woran wir uns halten können)« zu halten. Auf diese Weise kann ich zumindest deutlich machen, dass ich mich durch den Verlust der Lehrbefugnis nicht abhalten lasse, loyal und kritisch zugleich, noch immer klar die zentrale Wahrheit der christlichen Botschaft zu vertreten.
    Großer Beifall, aber ich bin mir darüber im Klaren, dass ich durch dieses verständliche, aber unverzeihliche Versehen eine große Chance verpasst habe. Man macht mir Komplimente, ich hätte einen »klassischen« Vortrag gehalten, aber man hat eben doch etwas anderes, Neues erwartet. Zweifellos hätte es meine Kolleginnen und Kollegen mehr interessiert, wie ich die an den Umbrüchen in Physik, Chemie und Biologie demonstrierte Paradigmentheorie von Thomas Kuhn auf die Geschichte von Kirche und Religion übertragen würde. Doch diese einzigartige Gelegenheit, vor einem aus ganz Nordamerika versammelten wissenschaftlichen Auditorium über diese Problematik zu reden, habe ich nun einmal verpasst. Damit muss ich mich abfinden. Meine amerikanische Lecture Tour hatte ohnehin noch einen anderen Zweck.
    »Existiert Gott?« – ein Bucherfolg auch auf Englisch
    In der Zwischenzeit hat nämlich mein bewährter Übersetzer EDWARD QUINN das Riesenwerk »Existiert Gott?« ins Englische übersetzt: Es sind in der englischen Ausgabe immerhin 839 Seiten. Der amerikanische Verlag Doubleday bringt das Buch groß heraus. Der Werbetext ist meiner Einleitung entnommen: »Existiert Gott? Es soll hier mit offenen Karten gespielt werden. Die Antwort wird heißen: Ja, Gott existiert. Und man kann auch als Mensch des

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