Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
Vom Netzwerk:
die Wissenschaftstheorie , die Wissenschaft von der Wissenschaft, und hier als Leitfrage: wie in der Naturwissenschaft, wo das Neue oft auch verdächtig ist, und in der Theologie »Neues« entsteht. Mit dieser Problematik habe ich mich im Rahmen der Paradigmentheorie eingehend für das Studium generale beschäftigt, und darüber gedenke ich 1980 auch in einem sehr großen Rahmen in den USA zu reden.
    Eine Amerikareise und ein peinliches Versehen
    Seit meiner Vortragsreise kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten nach der ersten Konzilssession im Jahr 1963, die im Weißen Haus ihren Höhepunkt hatte und mein Amerikabild auf Dauer geprägt hat, bin ich auch ganz besonders an der Zusammenarbeit von amerikanischer und deutscher Theologie interessiert; in der weltoffenen Kennedy-Zeit fiel sie natürlich viel leichter als 40 Jahre später unter der nationalistischen Präsidentschaft von Bush jun.
    Viele Gründe sprechen für diese Zusammenarbeit: schon ganz allgemein die überragende Bedeutung der westlichen Führungsmacht USA mit ihren großen Errungenschaften in Demokratie, Wissenschaft und Technologie; dann die wertvollen geistigen Impulse gerade auch für die Theologie, die immer wieder von den Vereinigten Staaten ausgingen, etwa für die theologische Reflexion auf die Bürgerrechtsbewegung, die Frauenbewegung, die ökumenische und die ökologische Bewegung; dazu kommen die vielen persönlich-kollegialen Beziehungen und die heutzutage selbstverständliche Verständigung in der englischen Sprache.
    Für mich geht es nach der römischen Intervention darum, mein »good standing« in Amerika zu wahren und zu festigen und gleichzeitig dort so viel wie möglich zu lernen. Und so nehme ich schon während meines ersten Semesters im neuen unabhängigen Status 1980 die Einladung an, an der American Academy of Religion, dem alljährlichen größten nationalen Kongress für Religionswissenschaft, Philosophie, Theologie und biblische Studien, der dieses Jahr in Dallas/Texas abgehalten werden soll, einen Vortrag vor dem Plenum zu halten: eine »Centennial Lecture« anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Society of Biblical Literature.
    Am 4. November 1980 fliege ich, begleitet von meinem Assistenten KARL-JOSEF KUSCHEL , zuerst nach San Francisco. In Berkeley an der Pacific School of Religion, wo man mir 1966 den ersten Doctor of Divinity ehrenhalber verliehen hatte, halte ich am 5. November eine Grundsatzrede über meinen jetzigen Standpunkt: »Where I Stand« . Einleitend weise ich darauf hin, dass ich, als ich unter Johannes XXIII. zum ersten Mal in Berkeley war, in der katholischen Kirche auf der Seite der Reformmehrheit stand. Jetzt sei ich zwar noch in derselben Kirche, aber Angehöriger (vielleicht) einer Minderheit – in jedem Fall Mitglied der loyalen Opposition Seiner Heiligkeit. Und ich weise dann wie schon in Tübingen darauf hin, wie sich die Situation verändert hat: »Rom ist nicht nur mehr römisch geworden – paradoxerweise unter einem polnischen Papst –, sondern meine Theologie ist auch katholisch geblieben. Mit einer beträchtlichen Zustimmung von meiner eigenen Kirche habe ich keinen Zweifel daran gelassen bezüglich meines Bleibens jetzt wie früher in dieser meiner katholischen Kirche und bezüglich meiner Entschlossenheit, für ihre Erneuerung zu kämpfen.«
    Und dann spreche ich es ganz deutlich aus: »Ich habe keine Absicht, die katholische Kirche einem eher konservativen Clan vatikanischer Hoftheologen und kurialer Bürokraten und ihrer deutschen Verbündeten zu überlassen. Ich sage uneingeschränkt ›Ja‹ zu einer wahrhaft katholischen Kirche, aber entschieden ›Nein‹ zu jeder Art römischer Repression. Ich werde jederzeit nach Rom gehen für ehrliche Diskussionen unter ehrlichen Verfahrensregeln, aber ich werde mich nie der römischen Inquisition unterwerfen.«
    In der Einführung hatte mich der Präsident der Pacific School of Religion, Dr.  MCCARTER , vorgestellt als den, der 1966 mit einem »Honorary Degree« ausgezeichnet worden sei, und gesagt, dass sich die Pacific School of Religion geehrt fühle, »einen hervorragenden Gelehrten, einen warmherzigen Menschen und einen Kirchenmann zu präsentieren, dessen Vision die von Martin Luther und von Papst Johannes XXIII. widerspiegle«. Ich werde mit meiner Rede verstanden und mit großem Applaus dafür bedacht, dass ich noch entschiedener als bisher für Reformen in meiner Kirche und für die Verwirklichung der christlichen

Weitere Kostenlose Bücher