Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
20. Jahrhunderts durchaus vernünftig an Gott, sogar an den christlichen Gott glauben. Und vielleicht heute wieder leichter als vor ein paar Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten. Denn nach so vielen Krisen hat sich erstaunlich vieles geklärt, und viele Schwierigkeiten gegen den Gottesglauben haben sich erledigt – auch wenn es manchen noch nicht bewusst ist.«
»Wissenschaft und Gottesglaube – Science and the Problem of God« ist der Titel meines Vortrags, den ich nun an verschiedenen wichtigen Universitäten halte. Im Anschluss an Dallas habe ich zum ersten Mal Gelegenheit, an den aufstrebenden Universitäten des Südens zu sprechen, an der Vanderbilt University in Nashville, der Hauptstadt von Tennessee (9./10. 11. 1980), und an der Emory University in Atlanta, der aufstrebenden Hauptstadt von Georgia (11. 11.). Überall sind die Auditorien voll, und an Beifall fehlt es nie, sodass sich die leicht übertriebenen Meldungen über die Agenturen – was politisch nicht unwichtig ist – bis nach Deutschland verirren und hier zeigen, dass ich nach der römischen Strafaktion auch in Amerika nicht »weg vom Fenster« bin: »Amerika hörte Küng. Sie strömen zu Tausenden«, »K. als USA-Attraktion«, »K. will Katholiken vor Rom retten«, »K. referiert in den USA vor überfüllten Häusern«, »K.: starkes Echo in Amerika«. Da alle diese Auftritte auch immer mit Banketten (und Dinner Speeches) sowie zusätzlichen Pflichten, aber auch mit Pressekonferenzen und Radiogesprächen angefüllt waren, war ich nicht nur stets voll ausgelastet, sondern konnte auch meine »message« weit über die Vortragssäle hinaus in Amerika verbreiten.
Von Atlanta geht es weiter zu mir schon gut bekannten, aber umso wichtigeren wissenschaftlichen Zentren, wo ich ebenfalls zumeist über die Frage »Wissenschaft und Gottesfrage« spreche – neben Kolloquien über die aktuelle Lage der katholischen Kirche und der Ökumene: zuerst in Harvard University (12. 11. 1980), dann in Yale University (13. 11.), schließlich im Union Theological Seminary in New York (14. 11.). Hier freue ich mich nicht nur über die mir gut bekannten Kollegen von früher und über eine gut besuchte Pressekonferenz, sondern auch dass Präsident Kennedys einzige Tochter CAROLINE KENNEDY , zusammen mit ihrem Onkel SARGENT SHRIVER KENNEDY , bei der Lecture anwesend ist; leider kann ich sie nur kurz begrüßen. Schon am nächsten Tag (15. 11.) bin ich – auf Wunsch meines Freundes Leonard Swidler – für einen Tag in Philadelphia an der Temple University.
Ein großes Erlebnis ist für mich schließlich der Sonntagsgottesdienst am 16. November 1980 in der New York Riverside Church, wo ich schon so oft gesprochen hatte, zusammen mit dem in der ganzen Nation bekannten, in der Bürgerrechtsbewegung stark engagierten Hauptpastor der Kirche, WILLIAM SLOANE COFFIN , begleitet von einem mitreißend singenden Chor und dem von Kindern und Jugendlichen präzis einsetzenden feierlichen Spiel von Handglocken. So fröhlich, erfrischend, ermutigend müsste Gottesdienst eigentlich immer sein. Weil von meinen Gegnern immer wieder mein Christusglaube angezweifelt wird, halte ich die Predigt über »Jesus – Gottes Sohn« – allerdings auf streng biblischer Basis.
Für den späten Nachmittag will ich die Einladung der katholischen Gemeinde von St. Joseph in Greenwich Village nicht ablehnen, mit ihr die Eucharistie zu feiern: eine starke Ermutigung für mich als katholischen Theologen und Priester. Auch hier eine festliche Feier mit Orgel, Flöten und Trompeten. Doch der Gottesdienst wird lang und die Zeit knapp. Beinahe verpasse ich den Transatlantik-Flug nach London. Doch der ortskundige Vikar, der mich zum Kennedy Airport fährt, verlässt die verstopfte Autobahn kühn an günstiger, aber verbotener Stelle und bringt mich über große Boulevards mit freilich vielen, vielen roten Ampeln schließlich doch noch rechtzeitig zum Flughafen. Gott sei Dank. Ein Verpassen des Nachtfluges nach London wäre eine kleine Katastrophe gewesen.
Was führt Redner und Zuhörermassen zusammen?
In England erwartet mich nach nur wenigen Stunden Schlaf in der Touristenklasse ein reichlich verrücktes Programm: Presse- und Radiogespräche, dann Mittagessen mit meiner liebenswürdigen und effizienten Verlegerin Lady PRISCILLA COLLINS , die alles getan hat, um einen guten Start der englischen Ausgabe von »Existiert Gott?« zu garantieren. Dann Fahrt im Zug nach Cambridge . Dort habe ich in der
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