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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Theologie und Religionswissenschaft unter dem Dach einer einzigen Fakultät vereint sind. So lerne ich ausgezeichnete Kenner des Hinduismus (Wendy O’Flaherty), des Buddhismus (John M. Reynolds) und der chinesischen Religion (Anthony C. Yu) kennen. Es herrscht ein reger geistiger Austausch auf diesem Campus, der eine kleine Stadt für sich inmitten einer von Schwarzen bewohnten Umgebung bildet. Ich werde oft eingeladen von Kollegen, die mehrheitlich auf dem Campus wohnen, besonders von DAVID TRACY , dem bedeutendsten katholischen Systematiker der USA, mit mir von »Concilium« her befreundet, und von unserem gemeinsamen Freund ANDREW GREELEY , dem Theologen, Soziologen und schließlich höchst erfolgreichen Romancier, der jetzt ein Apartment auf dem 30. oder 40. Stockwerk des John-Hancock-Wolkenkratzers bewohnt mit einem atemberaubenden Blick über die ganze City.
    Besonders freut mich das persönliche Gespräch mit dem »great old man« der Geschichte und Phänomenologie der Religionen, MIRCEA ELIADE . Seine vielbändige »Geschichte der religiösen Ideen«, zuerst auf Französisch erschienen 1 , ist ein Standardwerk. Wie kein Zweiter symbolisiert er mit seinem Wissen den ungeheuren Strom einer vieltausendjährigen Entwicklung der Menschheit. Er ist ein wahrer Polyhistor der Religionen, der nicht nur die Welt der Stammesreligionen kennt, sondern auch die der Hochreligionen: Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus und natürlich Judentum, Christentum und Islam.
    Leider konnte Eliade die Übereinstimmungen und Unterschiede nicht mehr systematisieren. Und leider ist auch jener große systematische Theologe nicht mehr am Leben, der wie Eliade zu Beginn der 60er-Jahre an der University of Chicago lehrte und den ich 1965 anlässlich eines Symposions in Montreal hätte treffen sollen: PAUL TILLICH . Wie kaum ein anderer Theologe ließ sich Tillich von Eliades Werk herausfordern und gestaltete mit ihm zwei volle akademische Jahre lang ein gemeinsames Seminar. Am 12. Oktober 1965 hatte Tillich an der Universität einen großen Vortrag gehalten zum Thema: »Die Bedeutung der Religionsgeschichte für den systematischen Theologen«. »Glänzend« und »bewegend« zugleich hatte Eliade diesen Vortrag genannt. Denn Tillich – selber ein immenses eigenes Œuvre im Rücken – lässt seine erstaunliche Bereitschaft erkennen, dass er – hätte er noch Zeit – seine systematische Theologie neu schreiben würde, jetzt im Dialog mit der ganzen Geschichte der Religionen. Doch Paul Tillich hat dafür keine Zeit, es war seine letzte Vorlesung gewesen, zehn Tage später ist er tot.
    Ich werde später versuchen, das Vermächtnis beider, Eliades historische Darstellung und Tillichs systematischen Vergleich fundamentaler Prinzipien und Leitideen, zu verbinden. Und dies im Rahmen einer Paradigmentheorie, über die ich in meiner Tübinger Vorlesungsreihe im Wintersemester 1980/81 zwei Vorlesungen gehalten habe und die ich jetzt im Herbstsemester 1981 hier in Chicago ausführlicher behandeln werde. Dabei werde ich meine Aufmerksamkeit weniger auf die zahllosen Modulationen und Modifikationen in der Geschichte der betreffenden Religionen richten. Vielmehr will ich auf die – bis heute sich auswirkenden – welthistorischen Weichenstellungen achten: auf die epochemachenden Umbrüche und die daraus entstandenen und bis heute wirksamen kulturell-religiösen Konstellationen oder Paradigmen. Für diese jetzt intensiv einsetzende Riesenarbeit finde ich unter den Theologen an der University of Chicago mehr Verständnis als in Tübingen. Es ist mir bewusst, dass ich für das bessere Verstehen der großen religiösen Traditionen noch gewaltige Anstrengungen unternehmen muss, freilich ohne wichtige andere Bereiche zu vernachlässigen.
    Wie Neues entsteht in Naturwissenschaft und Theologie
    Die Paradigmentheorie hilft nicht nur, andere Religionen, sondern auch die eigene besser zu verstehen. Lange Zeit hatte ich Mühe, in Begriffe zu fassen, warum die Verständigung zwischen Vertretern der traditionellen römisch-katholischen Theologie und denen einer neuen zeitgenössischen Theologie manchmal beinahe unmöglich erscheint. Wir leben doch in derselben Kirche und glauben an den einen Gott und den einen Jesus Christus. Und doch, habe ich das Gefühl, leben wir in verschiedenen Welten und verstehen von daher das, was Kirche, Gott und Christus bedeuten, völlig verschieden. Deutlich wurde mir dies besonders während des vierstündigen Verhörs vor

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