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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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der Literatur. Auch für die darstellenden Künste interessierte ich mich schon seit meiner Luzerner Gymnasialzeit brennend.
    In der Engelsburg
    Es war also kein Zufall, dass mich der Bildhauer OTTO HERBERT HAJEK als Präsident des Deutschen Künstlerbundes zur Eröffnungsrede der Jahresausstellung 1979 in Stuttgart eingeladen hatte (Bd. 2, Kap. X: Moderne Kunst und Sinnfrage). Das war unmittelbar vor dem Entzug meiner kirchlichen Lehrbefugnis.
    Jetzt, nach dem Missioentzug, tritt Hajek mit einer neuen herausfordernden Aufgabe an mich heran: Ich solle für seine große Kunstausstellung in Rom im Castel Sant’Angelo , an historischer Stätte, direkt beim Vatikan, die Eröffnungsrede halten. Dieses Bauwerk heißt »Engelsburg«, weil der Erzengel Michael hier Papst Gregor dem Großen 590 bei einer Pestprozession erschienen sein soll (die krönende Engelsstatue stammt erst aus dem 18. Jh.). Ursprünglich war dieses gewaltige kreisrunde Monument von Kaiser Hadrian im 2. Jahrhundert als sein Grabmal gebaut worden, war lange Begräbnisstätte der römischen Kaiser und wurde in der Völkerwanderungszeit zur Festung ausgebaut. So diente es schließlich den Päpsten als Kastell und Fluchtburg, seit 1277 durch einen gedeckten Gang mit dem Vatikan verbunden. Heute befindet es sich in Staatsbesitz, sonst hätte ich hier wohl nicht reden dürfen.
    Es ist für mich selbstverständlich, dass ich diese ehrenvolle und interessante Einladung annehme. Am 18. Juni 1981 halte ich meine Eröffnungsrede – abwechselnd in Deutsch und Italienisch – in Anwesenheit des baden-württembergischen Wissenschaftsministers Professor HELMUT ENGLER , der in der großen Konfrontation eher auf der Seite der kirchlichen Autoritäten gestanden hatte. Es liegt für mich nahe, dass ich ausgehe von dem historischen Ort, an dem ich spreche. Gibt es doch wenige Plätze im heiligen Rom, an denen der Personenkult des »Heiligen Vaters« so problematisch erscheint und die Heiligkeit dieser Väter durch die Geschichte selber in so dramatischer Form entmythologisiert wird wie gerade hier, im Castel Sant’Angelo. »Hier herrschte im düsteren 10. Jahrhundert die mächtige Adelige Marozia Senatrix«, erkläre ich der Festversammlung, »sie war die Geliebte des Papstes Sergius III., die Mörderin des Papstes Johannes VIII., den sie in der Engelsburg gefangen hielt, und die Mutter von Papst Johannes XI.« Dann füge ich hinzu: Dies alles geschah in einer Zeit, »als die Päpste noch nicht unfehlbar waren«.
    Das Gesicht des Ministers wird immer verschlossener und starrer, aber an der Rede hindern kann er mich nicht. Im Folgenden hole ich dann viel grundsätzlicher aus. Ich wende mich – hier nicht auszuführen – gegen den Traditionalismus in Kunst wie Theologie, wo die Tradition zum Gott geworden ist: als ob eine bestimmte Kunst oder Theologie der Vergangenheit von vornherein die qualitativ bessere sei. Aber ich wende mich auch gegen den Modernismus , wo der Fortschritt zum Gott geworden ist: als ob jede Revolte auch schon eine große Erneuerung wäre und die jeweils neueste Kunst oder Theologie nicht nur die erstbeste, sondern die erste und die beste überhaupt sei. Nein, weder Traditionalität noch »Novität« kann in Kunst und Theologie oberstes Gesetz sein.
    Doch ist Rom ohnehin nicht der Ort, von wo aus man zu neuen Ufern vorstößt. Und es sind ja auch nicht nur die darstellenden Künste, die mich faszinieren, sondern vielleicht noch mehr jene Kunst, die sich am vergeistigsten präsentieren kann: die Musik.
    Pilotprojekt IV: Religion und Musik
    Hier ging es für mich wirklich um ein neues Ufer. Doch dieses Projekt wurde von mir nicht geplant, sondern wächst mir sozusagen zu und entwickelt sich in Etappen, wobei ich mir am Ende wegen vieler anderer Projekte versagen muss, es durch eine umfassende Darstellung zu einem Abschluss zu bringen – zum Beispiel durch eine Vorlesungsreihe über die Religiosität der großen Meister von Bach bis Strawinsky. Aber mit drei musikalischen Genies kann ich mich eingehend beschäftigen, nicht einfach weil es meine »Lieblingskomponisten« wären (solche habe ich viele), sondern weil sie mir durch fremden Vorschlag und natürlich auch eigene Entscheidung zukommen: Mozart, Wagner und Bruckner, die nun allerdings in höchst unterschiedlicher Weise für das Verhältnis zur Religion exemplarisch sind.
    Trotz aller Beschäftigung mit Musik habe ich mir freilich nie eingebildet, Musikwissenschaftler zu sein. Doch eines

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