Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
vergnügen dürfe, während ich mich mit Dogmatik und Dogmenkritik abrackern müsse. Meinem entschieden pazifistisch eingestellten Schüler helfe ich durch ein Gutachten, dass er vom Militärdienst befreit wird und stattdessen als Zivildienstleistender in der »Sophienpflege«, einer evangelischen Einrichtung für Jugendhilfe in der Nähe von Tübingen, wertvolle pädagogische Erfahrungen sammeln kann. Er ist aber leistungsfähig genug, nach Dienstschluss noch zu mir zu kommen, um das von mir Geschriebene durchzusehen und im Übrigen seine eigene Dissertation voranzutreiben.
Kuschel geht darin der Frage nach, welche Mittel, Formen, Techniken und Stile es gibt, um das, was Jesus von Nazaret bedeutet, in weltliche Sprache zu übersetzen. Die literaturwissenschaftliche Methode, die er gebraucht, und die historisch-kritische, auf der mein Jesus-Bild beruht, ergänzen sich dabei glücklich. Denn es ist klar: Maßstab für »Christ sein« heute kann weder einfach der Christus des Dogmas noch der Christus der Schwärmer, aber auch nicht der Christus der Literaten sein, sondern nur der wirkliche, geschichtliche Jesus Christus, dessen entscheidendes Profil die historisch-kritische Exegese klar herausgearbeitet hat. Kuschel zeigt nun auf, wie Jesus bei Autoren wie Frisch, Dürrenmatt, Böll, Hochhuth, Jens und anderen eine zentrale Rolle spielt und um welche Themenkreise und Fixpunkte im Leben Jesu (Geburt, Passion, Auferstehung) sie in ihren entsprechenden Werken kreisen. Es wird deutlich, dass nach heutigen Kriterien manche Texte, die Jesus von der gegenwärtigen Wirklichkeit her deuten, viel eher als »christliche Literatur« bezeichnet werden können als etwa die früheren, teilweise kitschigen Jesus-Romane.
Karl-Josef Kuschel konnte seine Dissertation glücklicherweise noch 1978 abschließen, von der Fakultät aufgrund der Gutachten von Jens und mir mit einem »summa cum laude« belobigt – alles gerade noch ein Jahr vor der großen Konfrontation mit Rom. Und noch im selben Jahr wird die Arbeit in der von Eberhard Jüngel, Walter Kasper, Jürgen Moltmann und mir herausgegebenen Reihe »Ökumenische Theologie« veröffentlicht. Sie legt das Fundament dafür, dass Kuschel nun bald zum besten Kenner des Grenzgebietes Theologie und Literatur in Deutschland avanciert. Unter dem Titel: »Der andere Jesus« veröffentlicht er 1983 ein »Lesebuch moderner literarischer Texte« und 1999 sogar ein großes Buch über »Jesus im Spiegel der Weltliteratur«, eine beeindruckende Jahrhundertbilanz in Texten und Einführungen, die eine erstaunliche Vielfalt von Autoren auch französischer, englischer, spanischer, italienischer und russischer Sprache bietet. Furchtlos veröffentlicht er aber auch schon im Jahr 1980 ein Buch über den Papst mit dem Titel »Stellvertreter Christi? Der Papst in der zeitgenössischen Literatur«, wo er in Auseinandersetzung mit der kritisch-utopischen Papstliteratur unserer Tage konkret aufzeigt, wie der Papst ein glaubwürdiger Repräsentant der Sache Jesu im ökumenischen Geist sein könnte. Sein könnte.
Religiöse Werke der Weltliteratur
Mit WALTER JENS , den ich als Kollegen seit Jahren kannte und schätzte, komme ich näher zusammen, wie im 2. Band berichtet, als ich ihm meinen Abschnitt über den »Jesus der Literaten« zu lesen gebe und er, davon begeistert, unbedingt das ganze große Manuskript von »Christ sein« lesen will. Tatsächlich liest er alle vorausgegangenen und nachfolgenden Kapitel und gibt mir mannigfache Anregungen.
In der neuen Periode meines Wirkens reift so in mir der Plan, mit Walter Jens eine Studium-generale-Vorlesung über religiöse Werke der Weltliteratur zu halten. Marianne Saur und andere im Haus sind sofort spontan dafür, aber unser Fachmann Karl-Josef Kuschel entschieden dagegen: Ich könne doch mit dem Literaten Jens und seiner Formulierungskunst auf keinen Fall konkurrieren. Nun wollte ich ja gar nicht mit Jens »konkurrieren«. Denn das Dümmste wäre, ihn stilistisch nachahmen zu wollen. Ich hatte ja seit Langem meinen eigenen Stil der Wissenschaftsprosa, der vor allem auf Klarheit, Eleganz und Verständlichkeit und so auf echte Kommunikation aus ist. Jens kritisierte bisweilen, ich würde zu viel in Hauptsätzen reden, und tatsächlich habe ich immer wieder die beim ersten Niederschreiben geborenen Satzmonster mitleidlos zerschnitten. Ich habe nicht die Absicht, für diese Dialogvorlesungen literarisch zu glänzen, meine Sätze kunstvoll zu drechseln und
Weitere Kostenlose Bücher