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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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großen theologischen Lexika, selbst in der 37-bändigen »Theologischen Realenzyklopädie« sucht man das Stichwort »Wagner, Richard« vergebens. Auch zu »Parsifal« findet man kaum etwas. Dabei ist ja nun gerade die zentrale Streitfrage: Ist »Parsifal« ein Bühnenweihfestspiel aus christlichem Geist oder etwas völlig anderes? Hat hier die Kunst die Religion ersetzt oder kongenial interpretiert?
    Immerhin hatte sich nach dem Missbrauch Wagners und Bayreuths für die Zwecke des Nationalsozialismus und den späteren unromantischen Inszenierungen von Wagners Enkeln Wieland und Wolfgang dies eine geklärt: Mit der Aufwertung der Kunst zur Religion ist es endgültig vorbei. Eine Kunstreligion, eine Bayreuther Gegen-Kirche und eine Wagner-Apotheose gibt es nicht mehr. Niemand versteigt sich heute noch zur Behauptung, Komponisten könnten Priester ersetzen, das Opernhaus die Kirche, die Oper die Liturgie, die Mythen die religiöse Ur-Kunde, die Ästhetik die Offenbarung, kurz: die Kunst die Religion. Auch Wagners »Parsifal« bietet keine Ersatzreligion zur Überhöhung der bürgerlichen Kultur.
    Und doch will der »Parsifal« nach Wagners dokumentierter Absicht durchaus wahrer Religion Ausdruck verleihen. Und im Gegensatz zur Liebes-Religion von »Tristan und Isolde« (1857   –   59), die das Ausleben des Begehrens, Rücksichtslosigkeit des Triebes, Totalität der Hingabe verkündet, wird im »Parsifal« eine herbe Verzichts-Religion präsentiert, welche die geschlechtliche Askese als Akt sittlicher Reinheit verherrlicht. Dies steht nun freilich nicht nur im Widerspruch zu Wagners gelebter Künstlerwirklichkeit, sondern auch zur Botschaft Jesu von Nazarets, dem Wagner schon im Revolutionsjahr 1848 einen 50-seitigen Dramenentwurf gewidmet hatte. Dieser Jesus hat nach den neutestamentlichen Quellen kein mönchisches Lebensideal vertreten und keinen Gegensatz zwischen Agape (schenkende Liebe, Triebverzicht) und Eros (begehrende Liebe, triebhafte Sexualität) konstruiert.
    Wagner hat sich bis ins letzte Detail über Jesu Abendmahl und den römischen Messritus orientiert, hat allerdings auch, durch Schopenhauer vermittelt, buddhistisches Gedankengut (Wiedergeburt, Mitleid selbst mit den Tieren) anklingen lassen. Im Zentrum des Musikdramas aber steht eindeutig nicht etwa die Wiedergeburt, sondern die Erlösung. Der Mensch ist erlösungsbedürftig und erlösungsfähig: darum geht es im »Parsifal«. Ich setze mich in meinem Aufsatz mit den vielen verschiedenen Interpretationen auseinander, brauche aber hier meine Analyse, die später in mein kleines Buch über »Musik und Religion« (2006) eingegangen ist, nicht zu wiederholen. Ich halte daran fest: Richard Wagner war gewiss kein gläubiger Christ, und schon gar kein Katholik; an manchen Anliegen des atheistisch-humanistischen Religionskritikers Ludwig Feuerbach hält er auch in seiner Spätphase fest. Aber er hat sich am Ende doch ernsthaft bemüht, ein wahrhaft christliches Erlösungsdrama zu schreiben, wie dies Friedrich Nietzsche mit seiner Instinktsicherheit sofort entdeckte – und radikal ablehnte.
    Aber was wird man in Bayreuth zu meiner Interpretation sagen? WOLFGANG WAGNER lässt mir am 7. Juli 1982 durch seinen musikwissenschaftlichen Assistenten Dr. Oswald Georg Bauer mitteilen: »Die Einsichten in das Werk, die Sie vermitteln konnten, und die Rückschlüsse, die Sie aus diesen Einsichten gezogen haben, gehen weit über das hinaus, was Fachwissenschaftler der Musik oder des Theaters bis jetzt zu diesem Werk sagen konnten. – Ihr Beitrag hat hier im internen Kreis derer, die ihn bis jetzt schon gelesen haben, sehr fruchtbare Diskussionen angeregt, und wir sind eigentlich der Meinung, dass es sich bei Ihren Gedanken um die Interpretation heute handelt.« Am 18. November desselben Jahres halte ich in Bayreuths großer Stadthalle einen öffentlichen Vortrag zum Thema »Zukunft für Religion?«.
    Wir sind in den nächsten Jahren oft zu viert in Bayreuth und erleben alle großen Wagner-Opern mit. Zugleich haben wir die Ehre, in schon Richard Wagners privatem Speisezimmer im Festspielhaus zwischen dem zweiten und dritten Akt einen Imbiss mit Wolfgang und Gudrun Wagner und einigen wenigen Festspielgästen einzunehmen oder anschließend in Wagners Residenz am Grünen Hügel beim Empfang der Künstler dabei zu sein. Auf diese Weise habe ich auch Daniel Barenboim und Georg Solti und manche Sänger und Sängerinnen persönlich begrüßen können. Aber ich erinnere

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