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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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andere aber ist der vielleicht musikalisch sensibelste deutsche Schriftsteller unserer Tage, WOLFGANG HILDESHEIMER , der das vielfach übermalte ursprüngliche Bild des Menschen und Künstlers Mozart freizulegen versucht. Ihn hatte ich beim Ehepaar Jens kennengelernt und hatte ihn auch in meinem Haus zu Gast. So zögerte ich nicht, ihn schon Anfang August 1990 an seinem Wohnort, einem Dorf auf der Alpensüdseite, anzurufen, um einen Besuchstermin zu erbitten. Am 6. August fahre ich über Julier- und Bernina-Pass nach Poschiavo (Puschlav) und lade ihn und seine Frau zu einem fröhlichen Abendessen ein. Bei gutem Wein diskutieren wir bis tief in die Nacht hinein über Mozart und vieles andere mehr.
    Das alles bedeutet für mich: Meine ganzen Ferienwochen sind jetzt Mozart gewidmet. Ich höre viel Musik und lese viel und habe mein Konzept klar: Ich sehe mich in der Mitte zwischen jenen beiden höchst kundigen Mozart-Verehrern, dem Theologen protestantischer und dem Agnostiker jüdischer Herkunft. Nur eines habe ich beiden voraus: dass ich wie Mozart – katholisch bin. Merkwürdigerweise hat man diese katholische Sozialisation Mozarts bisher kaum thematisiert: Barth hat sie notgedrungen am Rande zur Kenntnis genommen, Hildesheimer aber gesteht Mozarts katholisches Erbe nur widerwillig zu; er sei nur »vordergründig« katholisch gewesen. Nun ist ja des jungen Mozart Streit mit dem Salzburger Fürsterzbischof Hieronymus Colloredo allgemein bekannt, aber dies ist nur eine Seite der Medaille.
    In der Art eines literarischen »Divertimento teologico« entwickle ich meinen Vortrag in sieben »Sätzen«, orchestriert durch zahlreiche biographische Details, Zitate aus Mozarts Briefen und Hinweise auf seine geistlichen und weltlichen Werke, sieben Themen, die ich hier nicht auszuführen brauche: (1) Katholisch?, (2) Religiös?, (3) Göttlich?, (4) Das Menschlich-Allzumenschliche, (5) Das Geheimnis, (6) Glückseligkeit, (7) Finale. Leicht lässt sich aufzeigen, dass Mozart zwar kein »kirchenfester« Katholisch-Konservativer ist, wohl aber ein kritisch-aufgeklärter Katholik. Hildesheimer indes überträgt zu viel von seiner religiösen Skepsis auf den in seinem katholischen Glauben durchaus verwurzelten Mozart. Aber der Dogmatiker Barth examiniert – in seinem von ihm berichteten echten Traum – Mozart umsonst in Bezug auf irgendwelche Dogmen und fragt ihn leider nicht nach seiner (ganz und gar katholischen) religiösen Erfahrung. Barth wie Hildesheimer sind keine Verklärer des »göttlichen Meisters«, aber auch keine Verniedlicher Mozarts zum »Menschen wie du und ich«. Beide sprechen von Mozarts Geheimnis, das sich einer letzten Durchschaubarkeit und rationalen Ergründung entzieht. Diesem Geheimnis hat sich Barths primär am Werk interessierte theologische Interpretation weiter angenähert als Hildesheimers psychoanalytische. Mozarts Musik enthält freilich keine Glaubensbotschaft wie die Bachs, ist kein Lebensbekenntnis wie die Beethovens oder Bruckners, ist erst recht keine Programmmusik wie die von Liszt oder Wagner. Mozart will selbst in seinen Opern nicht dozieren oder moralisieren. Er will zunächst einfach Musik zu Gehör bringen, will unter Ausnützung aller melodischen und harmonischen Möglichkeiten mit »Expression« musizieren.
    Und doch war Musik, so kann ich aufzeigen, nicht sein Ein und Alles. Nie verleugnet Mozart seinen auch freimaurerisch aufgeklärten katholischen Glauben, der ihn in einem Brief an seinen todkranken Vater Leopold vom 4. April 1787, nur vier Jahre vor seinem eigenen Sterben, schreiben lässt: »Da der Tod – genau zu nehmen – der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild nicht allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes! Und ich danke meinem Gott, dass er mir das Glück gegönnt hat, mir die Gelegenheit – Sie verstehen mich – zu verschaffen, ihn als den Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit kennen zu lernen.« 9
    Ich meinerseits gestehe dankbar, dass schon das eine Klarinettenkonzert KV 622, dieses letzte, exakt zwei Monate vor seinem Tod vollendete Orchesterwerk Mozarts von unüberbietbarer Schönheit, Intensität und Verinnerlichung, aller düsteren und resignativen Züge bar, mich als Doktoranden der Theologie vor 35 Jahren in einem Pariser Dachzimmer, wo es nur ein Dutzend Schallplatten gab, fast

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