Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
täglich neu erfreut, gestärkt, getröstet, kurz mir ein kleines Stück Glückseligkeit vermittelt hat. Und ich gebe es nun an meine Zuhörer in München weiter, dass doch jeder, jede von ihnen beim Hören von Mozarts Musik solche kleine Augenblicke der »Glückseligkeit« irgendwann einmal empfunden hat oder hoffentlich empfinden wird. Ein sensibler, hörbereiter Mensch vermag aus dem reinen, ganz verinnerlichten und uns doch umfangenden wortlosen Klang etwa des Adagios des Klarinettenkonzerts in sich noch etwas ganz anderes zu vernehmen: den Klang des Schönen in seiner Unendlichkeit, ja den Klang des einen Unendlichen, das uns übersteigt und für das »schön« kein Wort ist. Chiffren also, Spuren der Transzendenz! Man muss sie nicht, man kann sie wahrnehmen, einen Beweis oder Zwang gibt es hier nicht.
Dieses Klarinettenkonzert ertönt anschließend im Prinzregententheater, und es wird, immer zusammen mit meinem Vortrag, später auch noch in der Katholischen Akademie Freiburg/Br., dann anlässlich der Internationalen Musikfestwochen in Luzern, auch zur Eröffnung eines ORF-Mozart-Symposions in Salzburg und schließlich bei einem Mozart-Konzert des Collegium Musicum an der Universität Tübingen erklingen.
Schon für den 3./4. März 1989 hatte ich eine Einladung des Schweizer Fernsehens angenommen: zu einer theologischen Meditation über Mozarts Krönungsmesse , konzipiert von meinem Freund ERWIN KOLLER , dirigiert von ARMIN BRUNNER . Sie soll während einer vom Fernsehen aus dem Basler Münster übertragenen konzertanten Aufführung dieser Messe vorgetragen werden. 10 Unter dem Titel »Opium des Volkes?« habe ich sie vor zeitgeschichtlichem Horizont von Aufklärung und Französischer Revolution interpretiert und habe im »Kyrie« die aufgeklärte Gläubigkeit in den Mittelpunkt gestellt, im »Gloria« das strahlende Gotteslob, im »Credo« das dramatische Bekenntnis, im »Sanctus« das uralte »Dreimalheilig« und im »Agnus Dei« die Bitte um den Frieden. Eine eindrucksvolle Wiederholung der Krönungsmesse mit Kommentar findet am 25. August 1991 im prachtvollen Klangraum der Jesuitenkirche Luzern statt unter der musikalischen Leitung von Prof. ALOIS KOCH , Direktor der Musikhochschule Luzern.
Armin Brunner verdanke ich auch einen wunderbaren musikalisch-literarischen Festabend der Herbert-Haag-Stiftung zu meinem 80. Geburtstag im Luzerner Unionssaal (8. 6. 2008). Mit drei unterschiedlichen Musikgruppen gestaltet er eine musikalische Zeitreise durch mein Leben, begleitet von Texten aus meinen Werken, die von der berühmten Schauspielerin MARIA BECKER eindrucksvoll vorgetragen werden. An Armin Brunners eigenem 80. Geburtstag wiederum nehme ich als 85-jähriger im Theater »Rigiblick« Zürich teil (31. 1. 2013). In seiner Laudatio betont unser gemeinsamer Freund Dr. Erwin Koller unsere »tiefgründigen Wahlverwandtschaften«: »Euch verbindet eine große Leidenschaft für die Musik, verbunden mit einer fundierten Kenntnis und Auseinandersetzung mit den Geheimnissen, die sie birgt. Und noch etwas: Ihr seid beide immer wieder in der Öffentlichkeit hingestanden und habt den Takt angegeben und klar gesagt, wo’s langgehen muss.«
Bruckners Symphonik des Glaubens
Nicht nur Mozarts Symphonien und die Haydns, Beethovens und Schuberts, sondern auch die der Romantik (Schumann, Brahms, Mendelssohn) habe ich mir im Laufe der Jahre immer wieder angehört, die Bruckners jedoch eher selten. Doch unserem sehr aktiven Universitätsmusikdirektor ALEXANDER ŠUMSKI will ich mich nicht verweigern, als er mich einlädt zu einem Symposion über Bruckners monumentale 8. Symphonie am 31. Januar 1989 – zusammen mit dem Bruckner-Spezialisten Professor CONSTANTIN FLOROS (Universität Hamburg) und dem Tübinger Musikwissenschaftler Professor MANFRED HERMANN SCHMID .
Mit ANTON BRUCKNER (1824-1896) mich eingehender zu beschäftigen reizt mich. Dieser nonkonformistische Komponist lebte in einer Zeit kirchlicher Restauration. Neogotik, Neoscholastik und Neogregorianik geben innerkirchlich den Ton an. Im deutschen Sprachraum propagieren römisch orientierte Musikrestauratoren gegen die »verweltlichte«, vom Orchester begleitete Kirchenmusik der Wiener Klassik als höchstes Vorbild für alle Kirchenmusik den angeblich altrömischen (faktisch aber fränkisch-mittelalterlichen) »gregorianischen« Gesang. Er soll von Papst Gregor dem Großen erfunden worden sein, was ebenfalls eine Legende ist. In dieser für
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