Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
amerikanische Nachrichtenmagazin »Newsweek« am 31. August 1981 verrät, was von den Presseagenturen auch in Deutschland rasch verbreitet wird: »Michigan woos (umwirbt) Hans Küng«. Ich hätte einen Ruf an die University of Michigan erhalten, die bedeutendste Staatsuniversität des Mittleren Westens, in Tübingens Partnerstadt Ann Arbor.
In der Tat betreibt hier der bedeutende und einflussreiche Alttestamentler und Archäologe DAVID NOEL FREEDMAN mit Macht das Projekt, das Religious Studies Program mit der Unterstützung des Präsidenten HAROLD SHAPIRO und des Deans PETER STEINER zu einem Religious Studies Department auszubauen und mich dabei als »Anchor Person« zu berufen, der auch die weiteren Mitglieder für das neue Department vorschlagen kann. Ein wahrhaft verlockender Vorschlag: aus dem manchmal doch etwas provinziellen Tübingen hinaus in die weite Welt Amerikas, die noch immer ungeahnte Möglichkeiten bereithält.
»Wird Küng ein Ami?«, titelt der Chefredakteur des »Schwäbischen Tagblatts«, CHRISTOPH MÜLLER , am 25. August 1981. Keine einfache Wahl: Hatte ich doch meine Tätigkeit in den USA seit meiner ersten Vortragsreise im Jahr 1963 stark ausgebaut, habe unter den amerikanischen Theologen viele gute Freunde, werde in die American Academy of Religion und später in den amerikanischen PEN Club aufgenommen. Andererseits reizen und befriedigen mich die Arbeit in unserem jetzt fakultätsunabhängig operierenden Tübinger Institut für Ökumenische Forschung und die einzigartige Zusammenarbeit mit dem Rhetorikprofessor WALTER JENS im Studium generale außerordentlich. Und man spürt in weiteren Pressekommentaren (»Schwäbisches Tagblatt« vom 1. 9. 1981) leise Empörung heraus, wenn es da heißt: Der Universitätspräsident kann Küng »immerhin in die moralische (Bleibe-)Pflicht nehmen, denn das Land Baden-Württemberg hatte nicht Kosten und nicht Mühen gescheut, dem um seine kirchliche Lehrbefugnis Gebrachten eine eigene ökumenische Forschungsstätte an der Tübinger Uni zu Füßen zu legen, damit er dort ungestört und unbeirrt im Windschatten des römisch-katholischen Bannstrahls weiterarbeiten kann. Und die 55.000 Dollar (bei wieder fallendem Dollar-Kurs!), auf die ist Bestsellerautor Hans Küng ja, weiß Gott, nicht unbedingt angewiesen …« Nein, weiß Gott, vom Honorar mache ich meine Entscheidung bestimmt nicht abhängig. Aber eine »ökumenische Forschungsstätte« war mir keineswegs nach dem römischen »Bannstrahl« »zu Füßen gelegt« worden; das Institut brachte ich mit, dessen Direktor ich seit 1964 war und auch künftig bleibt.
Aber jetzt will ich zuerst einmal am 1. Oktober 1981 meine Lehrtätigkeit an der University of Chicago aufnehmen und weitere Erfahrungen sammeln. Dann werde ich die näheren Bedingungen des Angebots von Ann Arbor erfahren und darüber verhandeln. Erst nach meiner Rückkehr aus Asien im Frühjahr 1982 werde ich Gespräche mit dem Stuttgarter Wissenschaftsministerium aufnehmen und mich dann schließlich entscheiden müssen.
University of Chicago: Was ein Gastprofessor zu tun hat
Die University of Chicago gehört zu den angesehensten Universitäten der USA. Mit fast 150 Universitätsgebäuden südlich vom Stadtzentrum beim Michigansee zeichnet sie sich durch viele international anerkannte Gelehrte und ein günstiges Zahlenverhältnis von Lehrenden und Studierenden aus. In der Divinity School, die mehr Professoren der Theologie und der Religionswissenschaft ausgebildet hat als jede andere Fakultät der USA, bin ich hochwillkommen. Nur selten trügen neue Professoren Namen, die »household words« seien, so werde ich im Bulletin des Deans FRANKLIN GAMWELL angekündigt. Ich muss in meinem Wörterbuch nachschauen: ein »Haushaltswort«? Gemeint ist ein »geläufiger Name«, ein »Begriff«. Das sei ich im »Haus des Vatikans«, in den Bischofshäusern Deutschlands und in den Medienhäusern Amerikas.
Aber in der University of Chicago setzt man vor allem auf meine wissenschaftlichen Qualifikationen und meine Publikationen, vor allem das neuestens auf Englisch erschienene »Does God Exist?«. Dieses wird Textbuch für mein Seminar – dreistündig am Donnerstag: Hier sollen die Studenten lernen, sich mit dem Verhältnis Vernunft und Glaube anhand von Gestalten wie Descartes und Pascal und mit dem neuzeitlichen Gottesverständnis anhand der Philosophie Hegels auseinanderzusetzen, um sich dann kritisch dem humanistischen Atheismus Feuerbachs, dem
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