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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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werden, in denen ich mich nicht (oder noch nicht) auskenne. Ich habe mir großen Respekt bewahrt vor denen, die auf ihrem Gebiet unendlich viel mehr wissen als ich. Doch wich ich keiner Diskussion aus, habe sie vielmehr in vielen Fällen gesucht. Anlässlich meiner Emeritierung haben wir im Institut für Ökumenische Forschung einen gedruckten Bericht »Drei Jahrzehnte Lehre und Forschung für die Ökumene 1964   –   1996« erstellt. Darin findet sich gleich am Anfang ein Verzeichnis all derer, die wir als Gastprofessoren, Gastreferenten und Lehrbeauftragte aus dem In- und Ausland eingeladen hatten. Ich war selber erstaunt, mit wie vielen Kollegen ich in dieser Zeit Kontakt hatte: Es waren genau 180. Langsam bildet sich bei mir auf empirischer Basis ein gewisser Überblick über wichtige Probleme heraus, und langsam wird mir deutlich, was mein besonderer Blickwinkel sein soll: eine möglichst universale Sicht der Religionen und Kulturen.

IV. Mein amerikanisches Jahrzehnt
    »Hans Küng, one of the world’s most important religious figures, is hero for some and heretic to others.«
    »Hans Küng, eine der wichtigsten religiösen Figuren der Welt, ist für die einen ein Held und für andere ein Häretiker.«
    »Chicago Tribune Magazine« vom 29. November 1981
    In den Jahren der Präsidentschaft von George W. Bush (2001   –   09), die ich oft wegen ihres militärisch-aggressiven Exzeptionalismus und Imperialismus kritisierte, wurde ich manchmal des »Antiamerikanismus« angeklagt. Ein völliger Unsinn. Ich habe vielmehr allen Grund, Amerika, genauer den USA und Kanada, herzlich dankbar zu sein für alles, was ich nicht nur ab dem Jahr meiner Begegnung mit Präsident Kennedy (1963) in den folgenden 70er-, sondern auch in den 80er-Jahren empfangen habe an liebenswürdiger Aufnahme, wissenschaftlicher Information und Zusammenarbeit sowie öffentlicher Anerkennung.
    Mehrere Gastsemester habe ich im Jahrzehnt 1981   –   90 in Nordamerika erlebt und in ungezählten Städten des Nordens und Südens, Ostens und Westens Vorträge gehalten. Was sind es doch für riesige Distanzen zwischen New York und Honolulu oder zwischen Bismarck/North Dakota und Puerto Rico in der Karibik. Ich war stets stolz darauf, wenn Amerikaner mir sagten, ich würde ja Amerika besser kennen als viele Amerikaner, von denen viele von der Ostküste nie zur Westküste oder von der Westküste nie zur Ostküste dieses riesigen Kontinents vorgedrungen sind und ein Großteil derer im Norden nie den »tiefen Süden« gesehen hat und umgekehrt. Aber auch abgesehen von allen Reisen und den damit verbundenen zahllosen Gesprächen höre ich in den USA regelmäßig die hervorragenden Informationen des Public Broadcasting Service (PBS) und lese täglich die »New York Times«. Auch in Europa orientiere ich mich ständig über Amerika und abonniere später die ausgezeichnete »Global Edition« der »Times«: die »International Herald Tribune«. So bin ich manchmal besser über amerikanische Probleme und ihre Hintergründe informiert als Leser amerikanischer Provinzblätter. Ja, ich hätte durchaus den Amerikanern ein Amerikaner werden können.
    Amerika lockt
    Vor dem Hintergrund der Tübinger Situation kann man verstehen, dass für mich die durch den neuen Status gegebene Möglichkeit, jedes vierte Semester an einer anderen Universität zu verbringen, ganz neue Horizonte eröffnet. Zwar habe ich vor meinem Abflug nach Chicago Anfang Oktober 1981 in Tübingen eine vorsichtig positive Zwischenbilanz gezogen: »Nach eineinhalb Jahren intensiver Forschungs- und Lehrtätigkeit in unserem Institut für Ökumenische Forschung kann ich erleichtert feststellen, dass wir mit unserem neuen Status gut leben können. Wir haben mehr Freiheit denn je und nutzen sie zur Intensivierung unserer Forschungs- und Lehrtätigkeit« (»Süddeutsche Zeitung« vom 7./8. 11. 1981).
    Wiewohl ich in meinen Tübinger Lehrveranstaltungen keine Pflichthörer habe – wer kommt, kommt freiwillig –, ist die Zahl meiner Hörer erheblich gewachsen. Meine Vorlesungsreihen »Ökumenische Theologie – Perspektiven für einen Konsens der Zukunft« und »Ewiges Leben? Das Leben nach dem Tod als medizinisch-philosophisch-theologisches Problem« mussten vom Auditorium maximum in den noch größeren Festsaal verlegt werden. So kann ich als katholischer Theologe in evangelischem Geist für eine ökumenische Theologie weiterarbeiten.
    Aber es wirkt nun in Tübingen doch alarmierend, als das

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