Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
hat, der seit einigen Jahren an der Divinity School lehrt und besonderen Kontakt mit dem leider früh verstorbenen weltberühmten systematischen Theologen Paul Tillich hatte. Dieser hegte ja, wie bereits erwähnt, nach Seminaren mit Eliade die Absicht, seine systematische Theologie im Licht der Weltreligionen noch einmal neu zu schreiben. In der letzten Vorlesung vor seinem Tod hat er davon Zeugnis abgelegt. Ein solches Unternehmen liegt auch meinen Intentionen nahe, wiewohl ich es sicher ganz anders anpacken werde.
Aber dies ist nur ein Beispiel dafür, wie fruchtbar für mich der Aufenthalt an der University of Chicago ist. Mir passt dieses Milieu an einer auf Forschung ausgerichteten Universität, die schon früh auf einen eigenen Fußballclub verzichtet hat, dafür aber ständig mehrere Nobelpreisträger in ihrem Lehrkörper aufweist.
Bin ich wirklich »angekommen«?
Die Divinity School ist natürlich daran interessiert, dass ich in den Medien in der richtigen Weise mit meinen positiven Intentionen zu Wort komme. Schon am ersten Sonntag des Semesters, genauer des »Fall Term«, am 11. Oktober 1981, halte ich in der großen neugotischen Rockefeller Chapel die Predigt über das brisante Thema: »An einen Sohn Gottes glauben?«; am Tag darauf eine Pressekonferenz, gefolgt von Einzelgesprächen mit »religion writers« den ganzen Tag über. Das Presseecho ist sehr positiv. Aber natürlich kann man nicht verschweigen, dass es auch Widerstände gegen mich gibt, die von Rom aus überall, wo ich hinkomme, aktiviert werden.
Das viel gelesene »Chicago Tribune Magazine« vom 29. November 1981 bringt einen mehrseitigen sympathisch-sachlichen Artikel von seinem Religionsredakteur BRUCE BUURSMA mit einem ganzseitigen Photo mit der Unterschrift, die diesem Kapitel als Motto voransteht: »Hans Küng: ein Held für die einen und ein Häretiker für andere«. Unter dem Obertitel: »Hans Küng: weiterkämpfend als des Vatikans loyale Opposition« lautet dann der Leittext: »Der bekannte Schweizer Theologe, der dieses Semester an der University of Chicago lehrt, wurde von den kirchlichen Autoritäten zensuriert wegen seines kühnen Eintretens für Reformen in der katholischen Lehre und Praxis. Nicht zum Schweigen gebracht und ungebeugt und noch immer weltweite Popularität genießend, nimmt er weiterhin kein Blatt vor den Mund – als Katholik und Theologe«. Und der Verfasser zitiert den amerikanischen Jesuiten ELMER O’BRIEN , der von diesem Katholiken und Theologen sagte: »Er taucht tief. Aber er denkt so klar wie ein Franzose und spricht mit der Direktheit eines Amerikaners.«
Bei meinem Publikum an der University of Chicago bin ich also »angekommen«. Professor LANGDON GILKEY , ein in Amerika hoch angesehener Theologe, hält bei meinem zweiten öffentlichen Vortrag in der Rockefeller Chapel die Einleitung. Dabei lobt er mich nicht nur als Vorkämpfer für die Integrität der Theologie und die akademische Freiheit, sondern auch als zeitgemäßen Interpreten der alten Tradition, der tief in der eigenen römisch-katholischen Gemeinschaft verwurzelt bleibe. Und mich freut besonders die gleichzeitige Heraushebung zweier Grundhaltungen: Glaube und Mut. »Er besitzt auch … Intelligenz (brains) – eine Gabe, die nicht ganz so selten und kostbar ist wie Mut, aber hilfreich in akademischen Bestrebungen. Vielleicht am verblüffendsten für seine Kollegen (die ja auch gerne ihre Bücher verkaufen): er hat eine unheimliche, aber unbestreitbare Fähigkeit, seine Überlegungen einem erstaunlich breiten und empfänglichen Publikum zu kommunizieren, wie dies die immensen Verkaufszahlen seiner Werke anzeigen.«
Hochinformativ sind für mich die Gespräche, die ich zumeist im Quadrangle Club führen kann: etwa mit der Kennerin der altorientalischen Sprachen ERICA RAINER vom berühmten Oriental Institute nebenan, mit dem französischen Philosophen PAUL RICŒUR über Fragen der Hermeneutik, mit dem italienischen Historiker ARNALDO MOMIGLIANO aus Pisa über das Judentum in Italien, aber auch mit dem Schriftsteller NORMAN MAILER und dem Journalisten GARY WILL beim Theologen und Psychotherapeuten EUGENE KENNEDY und seiner Frau, schließlich auch mit dem polnischen Philosophen LESZEK KOŁAKOWSKI , bis 1968 Professor in Warschau, dann aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen und daher Professor an verschiedenen westlichen Universitäten, zurzeit ebenfalls in Chicago. Er hat eben sein dreibändiges Hauptwerk »Die Hauptströmungen des
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