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Erlöst mich: Thriller (German Edition)

Erlöst mich: Thriller (German Edition)

Titel: Erlöst mich: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Kernick
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herum. Ich weiß nicht, ob er tatsächlich vorhatte, seiner Familie etwas anzutun, aber keiner von uns, die wir uns in der glühenden Sonne hinter unseren Einsatzwagen duckten und die verdammten Gesetze verfluchten, die uns die Hände banden, wollte es darauf ankommen lassen, es herauszufinden.
    Da erschien er plötzlich, mit nacktem Oberkörper, am Fenster, stieß es auf und brüllte uns lallend eine unverständliche Tirade entgegen. Er hob seine Waffe und zielte
aus dem Fenster. Ich hatte über Ohrhörer bereits die Anweisung erhalten, auf keinen Fall das Feuer zu eröffnen, doch das war noch, bevor er mit der Pistole in meine Richtung zielte. Höchstwahrscheinlich würde er mich gar nicht treffen, dazu schwankte seine Hand zu sehr, aber meine Nerven und meine Geduld waren bis zum Zerreißen gespannt, und plötzlich erlebte ich eine Art Epiphanie und hatte genug. Über den Ohrhörer kamen zwar weitere Instruktionen, doch bis heute kann ich nicht sagen, was sie beinhalteten. Denn ich hatte bereits den Abzug gedrückt.
    Ich schoss ihn zweimal in die Brust; er war praktisch sofort tot. Von diesem Augenblick an war mein Schicksal besiegelt. Bei seiner Pistole hatte es sich lediglich um eine Attrappe gehandelt, ich wurde zwei Monate lang suspendiert und musste mich einer akribischen Untersuchung stellen, die klären sollte, ob mein Vorgehen gerechtfertigt war oder nicht. Die ganze Zeit hing nicht nur der Verlust meines Jobs wie ein Damoklesschwert über mir, sondern mir drohte auch eine strafrechtliche Anklage. Selbst nachdem meine Suspendierung aufgehoben worden war, weil die Untersuchungskommission meinte, man könne mir keinen Vorwurf machen, wurde mir jeglicher Dienst mit der Waffe untersagt, und mein Aufstieg auf der Karriereleiter kam zu einem abrupten Halt. Ich mochte zwar kein Verbrechen begangen haben, aber die Bosse kamen zu dem Schluss, ich sei von einer unangenehmen Aura umgeben und man könne mich nicht einmal mehr mit der Kneifzange anfassen.
    Vor diesem August hätte ich mich durchaus als guten Cop gesehen. Ich war kein liberaler Idealist – bin ich nie gewesen –, doch zumindest war ich ein Mann, der seinen
Job mit Leidenschaft ausübte, den Menschen, die er zu schützen hatte, mit Respekt begegnete und bereit war, bis zum Erreichen der Pensionsgrenze sein Bestes zu geben.
    Von den Ereignissen jenes Augusts habe ich mich niemals richtig erholt. Vielleicht lag in meinem Handeln mehr Selbstmitleid, als ich damals bereit gewesen wäre zuzugeben, jedenfalls wurde ich zunehmend zynischer. Je stärker ich spürte, dass die Gesetze eher dazu da waren, die Rechte der Verbrecher zu schützen als die der Opfer, desto größer wurde meine Verachtung für sie. Der Beruf wandelte sich zum Schlachtfeld: Wir gegen die. Doch »die« waren bald nicht mehr nur Kriminelle, sondern auch das Establishment, das mein Gehalt zahlte und die Gesetze erließ, die mir immer ungerechter erschienen. Es schien, als wären die Bosse eher daran interessiert, den Politikern in den Arsch zu kriechen und ihre Vorgaben zu erfüllen, als ihre Leute zu beschützen. Und auch die Öffentlichkeit schien es kaum zu interessieren, was in ihrer unmittelbaren Umgebung vor sich ging; Passanten, die schnell weitereilten, wenn sie auf der Straße Zeugen eines Verbrechens wurden, weil sie zu feige waren, sich einzumischen. Manchmal war es fast, als wären »die« letztlich alle, und »wir« nur noch ich allein, ein einsamer Bulle, der seinen Ein-Mann-Krieg gegen das Böse in der Welt führte.
    Zweimal fing ich mir Misshandlungsklagen von Festgenommenen ein. Die erste kam von einem gewalttätigen Straßengangster, der wegen zweifacher schwerer Körperverletzung gesucht wurde und der mir während der Festnahme ins Gesicht gespuckt hatte. Dummerweise machte er auch noch den Fehler, darüber zu lachen, als er bereits Handschellen trug. Das Ganze spielte sich im Hause seiner
Mutter ab, wo er sich versteckt hatte, und vor den Augen von vier meiner Kollegen verpasste ich ihm daraufhin einen Kopfstoß, der ihn zwei Zähne kostete.
    Seine Klage wurde nicht weiterverfolgt, aber nur, weil wir fünf allesamt die gleiche Geschichte erzählten, nämlich dass er sich beim Versuch zu flüchten selbst verletzt habe. Doch etwas blieb an mir haften, und als ich drei Jahre später mit einer weiteren Klage konfrontiert wurde, nahm die Beschwerdekommission der Polizei den Fall äußerst ernst.
    Diesmal war der Kläger ein einschlägig vorbestrafter Kinderschänder, den

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