Erlöst mich: Thriller (German Edition)
ich unter dem Verdacht festgenommen hatte, die fünfjährige Tochter seiner Lebensgefährtin vergewaltigt zu haben. Als ich ihn auf die Rückbank des Wagens verfrachtete, wirkte er so selbstgefällig und arrogant und erklärte mir in hochtrabenden Worten, dass das Kind lüge, dass ich mich neben ihn setzte und ihm, während mein Kollege draußen wartete, die eine Hand auf den Mund presste und ihm mit der anderen derart die Eier quetschte, dass eines davon buchstäblich platzte. Er verbrachte deswegen drei Tage im Krankenhaus, und obwohl mein Kollege beteuerte, er habe weder etwas gesehen noch gehört, wurde bald deutlich, dass meine Geschichte – er sei beim Einsteigen ausgerutscht und unglücklich auf den Türrahmen gestürzt – keinen Bestand haben würde, zumal der behandelnde Arzt bestätigte, das Bild der Verletzung stimme völlig mit der vom Opfer beschriebenen Misshandlung überein.
Ich hätte sicher meinen Job verloren und wäre vielleicht sogar selbst im Knast gelandet, wenn sich nicht ein Mann namens Raymond Keen – der nach Bertie Schagel unwahrscheinlichste aller weißen Ritter – für mich interessiert hätte.
Ich hatte Keen einige Monate zuvor bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung kennengelernt. Er war ein bestens bekannter, flamboyanter und wohl auch betrügerischer lokaler Geschäftsmann, der ein florierendes Bestattungsinstitut betrieb, aber im Verdacht stand, seine Finger in einigen weniger ehrenhaften Angelegenheiten zu haben. Ich fand ihn jedoch sympathisch, und so trafen wir uns gelegentlich auf ein paar Drinks, auch wenn – oder vielleicht gerade weil – ich wusste, dass meine Verbindung zu ihm an höherer Stelle Stirnrunzeln auslösen würde.
Eines Abends erzählte ich ihm von der Klage, er hörte sich meine Geschichte an und fragte, wo der Kläger inhaftiert sei. Dann sagte er mir, er würde das für mich regeln.
Damals wusste ich nichts von der Art Verbrechen, zu denen Raymond Keen in der Lage war, und auch nicht, wie weit seine Macht wirklich reichte, sondern dachte, das Ganze wäre ein leeres Versprechen. Doch nur wenige Tage später wurde die Klage fallen gelassen. Einfach so. Ohne Angabe von Gründen. Der Verdacht schwebte zwar immer noch über mir, aber wenigstens war ich wieder im Dienst.
Auf diese Weise kamen Raymond und ich ins Geschäft. Danach wurde es schwierig, seine Bitten um diesen oder jenen Gefallen abzulehnen. Meistens wollte er Informationen, die entweder seine eigenen Geschäfte betrafen oder die von anderen Kriminellen: Warnungen vor anstehenden Drogenrazzien, Tipps, wie man jemanden aus dem Zeugenschutzprogramm ausfindig machte, keine großen Sachen, aber über die Jahre nahmen sie wie Tumore an Häufigkeit und Schwere zu, bis er mich eines Tages aufforderte, das letzte Tabu zu brechen und jemanden für ihn zu töten.
Dieser Jemand war ein besonders widerlicher Geschäftsmann
namens Vincent Stanhope, zu dessen Betätigungsfeldern unter anderem Kinderpornografie zählte. Stanhope schuldete Raymond offenbar eine erhebliche Summe Geld und weigerte sich zu zahlen, sodass Raymond sich gezwungen sah, seinen Ruf in der Unterwelt zu verteidigen. Stanhope musste sterben. Er bot mir zehn Riesen für den Job.
Ich war kurz davor, »Nein« zu sagen und frage mich bis heute, was wohl geworden wäre, falls ich damals abgelehnt hätte. Ich meine es ehrlich, wenn ich sage, dass ich nie zum Mörder werden wollte. Was mich schließlich »Ja« sagen ließ, war der Fall, den wir damals bearbeiteten. Ein Fall, der mich heute noch verfolgt, vor allem, weil ihm jedes erkennbare Motiv fehlte.
Tim Atkins war ein dreiunddreißigjähriger braver und gesetzestreuer Regierungsangestellter. Eines Tages ging er mit seiner Frau und seinen beiden kleinen Kindern am Regent’s Canal spazieren, als sie auf drei Gras rauchende Jugendliche stießen, die ihnen den Weg versperrten. Mr. Atkins bat sie höflich, Platz zu machen, damit er mit dem Kinderwagen weiterkonnte. Als Antwort schlug ihm der größte der drei, ein Totalversager namens Kyle Morris, der uns nur zu gut bekannt war, so brutal ins Gesicht, dass Mr. Atkins rücklings umfiel, mit dem Hinterkopf auf dem Beton aufschlug und sich schwerste Gehirnverletzungen zuzog. Er starb einige Stunden später im Krankenhaus, ohne noch einmal das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Er hinterließ seine Frau und seine beiden kleinen Töchter im Alter von fünf Jahren und zwanzig Monaten, die hatten mit ansehen müssen, wie ihr Vater ermordet
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