Erlöst mich: Thriller (German Edition)
während ich den
Schalldämpfer unter dem Hemd hervorzog und aufschraubte.
Was ein Fehler war.
Wenn sie dem Tod ins Auge blicken, reagieren alle Männer anders. Die meisten flehen, andere fügen sich stoisch und würdevoll schweigend in ihr Schicksal. Die wenigsten überwinden ihre Angst und kämpfen. Ich hätte nicht gedacht, dass Tomboy zu Letzteren zählte. Aber das tat er. Und er war auch noch schnell.
Mit einem tierischen Schrei stürzte er sich auf mich und prügelte und trat auf mich ein. Die Wucht seiner Attacke warf mich zu Boden, der Schalldämpfer flog mir aus der Hand, aber wenigstens gelang es mir, die Pistole festzuhalten. Blindlings drückte ich ab, es gab einen ohrenbetäubenden Knall, doch die Kugel verfehlte ihn. Er hämmerte mir noch eine Faust ins Gesicht und stolperte dann über mich hinweg durch die Terrassentür. Obwohl er gegen den Rahmen knallte, lief er so schnell, dass er draußen war, ehe ich auf die Beine kam. Ich musste mich beeilen. Ich ignorierte den Schmerz in meiner Nase, die zum zweiten Mal binnen vierundzwanzig Stunden eins abgekriegt hatte, rappelte mich auf und rannte ihm nach.
Tomboy hatte den Patio durchquert und näherte sich der Mauer am Ende. Er sah sich um, merkte, dass ich ihm nachsetzte, und stieß einen angsterfüllten Schrei aus, dann sprang er die Mauer an, hievte ein Bein darüber, zog sich hoch und ließ sich fallen.
Er stand wieder auf und rannte weiter. Aber ich holte auf. Wir wussten es beide.
Er hetzte durch die Bäume, die sich plötzlich zu einer felsigen Lichtung hin öffneten, auf der eine Bank stand,
von der man übers Meer blicken konnte. Dahinter lag die Klippe. Er war am Ende angekommen, und diesmal wehrte er sich nicht mehr dagegen.
Er blieb stehen und drehte sich zu mir um, der Wind zerzauste seine dünnen strähnigen Haare.
Ein paar Sekunden lang sagte keiner von uns etwas, gedankenverloren starrten wir uns an. Ich musste an die alten Tage denken, als wir Freunde waren, an die gemeinsamen Drinks, den gemeinsamen Spaß. Ich glaube, er hoffte, dass ich daran denken würde, dass mich die Erinnerungen überwältigten und ich es nicht mehr über mich brächte, den Abzug zu drücken.
Doch er irrte sich. Er hatte den Tod verdient. Mehr als viele andere, die ich getötet hatte.
Ich hob die Waffe, er wich einen Schritt zurück, geriet bedrohlich nahe an den Rand der Klippe.
Dann plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck, glättete sich, wurde ruhig. Als würde er sich in das Unvermeidliche fügen.
»Nimmst du dir Heed vor?«, fragte er.
Ich nickte. »Und Wise. Ich werde nicht aufhören, bis alle tot sind.«
»Sieh zu, dass du sie erwischt.«
»Das werde ich.«
»Neulich habe ich eine Lieferung für Heed abgeholt und ins Juicy Peach gebracht. Ein großer Koffer, der in einer Kiste steckte. War verdammt schwer. Ich habe keine Ahnung, was darin war, aber es muss ziemlich wertvoll sein. Und illegal. Ich weiß, dass Heed die Lieferung für jemand anderes entgegengenommen hat.«
»Wise?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich würde Heed fragen, bevor du ihn umlegst. Sag ihm, dass ich es war, der es dir verraten hat. Und zwar freiwillig.«
»Das werde ich. Danke.«
Er seufzte auf. »Das reicht nicht, dass du mich verschonst?«
Ich erwiderte nichts. Das musste ich nicht.
»Bitte, Mick, komm. Ich habe dir was gesagt. Etwas, das du verwenden kannst. Ich werde ihnen auch nichts davon erzählen. Kein Wort. Zu niemandem. Ich schwöre. Komm, um der alten Zeiten willen. Bitte.«
Ich schwieg immer noch. Hielt nur die Mündung auf ihn gerichtet.
Er schluckte. »Ich war nicht immer ein mieses Schwein, Mick.«
»Ich weiß. Ich auch nicht.«
»Was ist mit uns passiert, Mick?«
»Wir haben immer die leichte Tour gewählt, Tomboy. Jetzt wird es Zeit für die harte.«
Er hatte gerade noch Zeit, die Tränen in meinen Augen zu erkennen, dann drückte ich den Abzug und schickte ihn, wild um sich schlagend, über die Klippe in den Abgrund des Nichts.
35
Tina sah zu, wie etwa ein Dutzend Rucksacktouristen, jung, sonnenverbrannt und mit frischen Tattoos, im Sand hockte, trank und sich prächtig unterhielt. Ihr fröhliches Lachen drang über den Strand zur Bar, wo sie sich eben eine Zigarette angezündet hatte und an ihrer zweiten Cola nippte. Es war Spätnachmittag, und langsam rutschte die Sonne über der Landzunge tiefer.
Sie war niedergeschlagen. Schon den ganzen Tag versuchte sie zu verarbeiten, dass sie sich mit einem mehrfachen Mörder eingelassen
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