Erlösung
entsann er sich wieder.
»Die Geschichte erinnert mich an eure Fälle mit den verkohlten Leichen.«
»Aha. Du denkst dabei an den Kupferring am Fußgelenk?«
»Genau.« Er kniff zweimal die Augen zusammen, das Signal für ein Nicken. »Das Mädchen wollte nicht mehr auf den Strich gehen. Sie wollte nach Hause, hatte aber noch nicht genug Geld verdient, deshalb kam das nicht in Frage.«
»Und deshalb wurde sie umgebracht.«
»Ja. Diese afrikanischen Mädchen glauben an Voodoo, aber dieses Mädchen nicht. Deshalb war das System bedroht. Und deshalb musste sie verschwinden.«
»Den Ring haben sie also dazu benutzt, um die anderen Prostituierten daran zu erinnern, dass man sich nicht ungestraft auflehnt, weder gegen seinen Boss noch gegen Voodoo.«
Wieder kniff Hardy die Augen zweimal zusammen. »Ja. Jemand hatte Haare und Federn und allen möglichen Krimskrams in den Ring geflochten. Die anderen afrikanischen Mädchen verstanden die Botschaft sofort, alle.«
Carl wischte sich den Mund ab. Ganz klar, Hardy hatte da mal wieder einen guten Riecher bewiesen.
Jacobsen wandte Carl den Rücken zu und sah hinunter auf die Straße. Das tat er oft, wenn er sich konzentrierte. »Hardy meint also, dass die Brandopfer Geldeintreiber waren, die die fälligen Zinsen und Tilgungsraten von den fraglichen Firmen kassieren mussten, dies aber offenbar nicht nachdrücklich genug taten. Und weil die Gelder nicht so reinkamen, wie sie sollten, hat man sie umgebracht?«
»Ja. Das Kartell hat an denen Exempel statuiert – für die übrigen Geldeintreiber. Und die Firmen, die sich Geld geliehen hatten, konnten sich mithilfe der ausgeschütteten Versicherungssumme bei ihren Kreditgebern von den Schulden freikaufen. Zwei Fliegen mit einer Klappe.«
»Falls diese Serben die Versicherungssummen einziehen, müsste es also eine oder zwei Firmen geben, die kein Geld für den Wiederaufbau haben«, resümierte Jacobsen.
»Ja.«
Der Chef der Mordkommission nickte. Gut möglich, dass es so einfach war. Und so bestialisch. Aber die ost- und südosteuropäischen Banden waren ja auch nicht gerade für Weichherzigkeit bekannt.
»Weißt du was, Carl? Ich glaube, mit dieser Theorie machen wir erst mal weiter.« Er nickte. »Ich setze mich sofort mit Interpol in Verbindung. Die sollen uns helfen, ein paar Antworten aus den Serben herauszubekommen. Bedanke dich doch bitte in meinem Namen bei Hardy. Wie geht es ihm übrigens? Hat er sich bei dir eingelebt?«
Carl überlegte. Eingelebt? Das war wohl zu viel gesagt.
»Ach ja, übrigens. Noch ein kleiner Tipp.« Marcus Jacobsen hielt ihn an der Tür auf. »Die Gewerbeaufsicht schaut heute bei euch unten vorbei.«
»Na so was. Und woher weißt du das? Ich hab immer geglaubt, die wollen einen mit ihrem Besuch überraschen.«
Der Chef lächelte. »Ja, aber sind wir nicht die Polizei? Wir
wissen
so was.«
»Yrsa, du musst heute oben im zweiten Stock sitzen, klar?«
Anscheinend hörte sie das nicht. »Ich wollte mich für den Zettel bedanken, den du gestern bei uns hinterlassen hast. Also von Rose«, sagte sie.
»Ah ja. Und was hat sie geantwortet? Kommt sie bald zurück?«
»Dazu hat sie sich nicht geäußert.«
Deutlicher konnte es wohl nicht gesagt werden.
Aber er war noch nicht fertig mit Yrsa.
»Wo ist Assad?«, fragte er.
»Er sitzt in seinem Büro und ruft ehemalige Sektenmitglieder an. Ich übernehme derweil die Selbsthilfegruppen und Vereine.«
»Gibt es viele davon?«
»Nein, ich bin bald durch. Und danach helfe ich Assad bei seinen Aussteigern.«
»Gute Idee. Wie findet ihr die?«
»Über alte Pressemeldungen. Es gibt genug.«
»Wenn du in den zweiten Stock übersiedelst, nimm Assad mit, ja? Die Gewerbeaufsicht steht demnächst vor der Tür.«
»Wer?«
»Die Gewerbeaufsicht. Die mit dem Asbest.«
An ihrer Anzeigentafel leuchtete nichts auf.
»Hallo!« Er schnipste mit den Fingern. »Bist du wach?«
»Selbst hallo. Und jetzt erklär mir endlich, wovon du sprichst. Asbest? Kann das nicht Rose gewesen sein?«
War das Rose gewesen?
Herr im Himmel, bald wusste er selbst nicht mehr, wer er war.
Carl überlegte gerade, ob er einen Stuhl in die Zimmermitte schieben sollte, um endlich die Fliege an ihrem Lieblingsplatz unter der Decke zu erwischen, als Tryggve Holt anrief.
»Waren Sie mit der Phantomzeichnung zufrieden?«, fragte Tryggve.
»Ja. Und Sie?«
»Durchaus. Aber ich rufe an, weil mich die ganze Zeit ein dänischer Polizeibeamter anruft. Pasgård heißt er.
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