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Erlösung

Erlösung

Titel: Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Dungs
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vehemente Sauerstoffverlust tat sein übriges. Nicht mehr lange und sie würde weiter in die Dunkelheit hinabsinken, aus der sie sich niemals wieder befreien würde. Wie eine Harpune schoss ich in ihre Richtung. Meine Hände erreichten ihren Körper und meine Finger umschlossen sofort ihre Arme. Auf meine Berührung hin zeigte sie keinerlei Reaktion, möglicherweise war sie nun auch schon bewusstlos. Innerhalb weniger Sekunden hatte ich nicht nur sie, sondern auch mich selbst zurück an die Oberfläche geschafft. Meine Nägel gruben sich soweit wie möglich in das Eis, aber dadurch entstanden nur noch mehr Risse, die sich eilig ausbreiteten. Das Risiko einzustürzen war ziemlich hoch und ich hatte keine Lust bis zum Ufer zu schwimmen. Für mich wäre es zwar kein Problem, doch der Mensch würde nur noch weiter auskühlen und damit auch ihr Blut. Dieses Wort entfachte die Gier des Vampirs in mir, ich konnte den allzu süßen Geschmack beinahe auf meiner Zunge spüren.
    Mit einem leisen Fluch an mich selbst hievte ich die Frau auf meinen Rücken. In nur sechs ausladenden Schritten, die trotz meines hervorragenden Gleichgewichtssinn vermutlich sehr unbeholfen aussahen, erreichten wir endlich wieder trockenen Boden. Ein zufriedenes Grinsen konnte ich dann aber auch nicht unterdrücken, denn mir war bewusst, dass ich ohne meine unmenschlichen Reflexe nicht einen Fuß vor den anderen hätte setzen können, ohne erneut im See zu versinken. Ich ging in die Hocke und zog den schlaffen Körper von meinen Rücken, um sie auf den Boden zu legen. Das Gesicht des Mädchens wurde durch ihr nasses Haar fast vollkommen bedeckt, es lag in dunklen Bahnen wie ein undurchsichtiger Schleier darüber. Ihr Herzschlag hallte sanft in meinen Ohren wider, doch sie schien nicht mehr zu atmen. Ich beugte mich nach vorne, und als ich keine Wärme oder gar einen Lufthauch an meiner Wange spürte, war meine kurzzeitige gute Laune wieder dahin. Sollte ich sie jetzt einfach beißen, aussaugen und sterben lassen? Während ich noch über diese absurde Idee nachdachte, hatte sich meine Hand schon automatisch gehoben, um ihr ein paar Strähnen aus dem Gesicht zu streichen. Zum ersten Mal konnte ich nun sehen, wen ich da eigentlich gerettet hatte, obgleich ich es getan hatte, damit ihre Nase und ihr Mund frei gelegt waren. Mir entging natürlich trotzdem nicht, dass sie wirklich hübsch war, auch wenn das keine Rolle spielte. Konnte ein Vampir einen Menschen überhaupt wiederbeleben? Würde ich den Sauerstoff in Reinform zurückgeben können, weil ich nicht atmen musste?
    Ich begann es herauszufinden; mit einem Finger öffnete ich vorsichtig ein wenig die vollen Lippen, ich atmete ein und im nächsten Moment legte sich mein Mund auf ihren. Dummerweise hatte ich vergessen, wie lange man zählen musste, bis man anfing, das Herz zu massieren. Eins, zwei, drei… Wahrscheinlich würde ich ihr dabei den gesamten Brustkorb brechen, ich würde äußerst behutsam vorgehen müssen. Vier, fünf… bevor ich das sechste Mal Luft holen konnte, regte sich plötzlich der zarte Körper unter mir. Ich wich sofort ein Stück zurück. Etwas Wasser lief aus ihrem Mund und die junge Frau versuchte ruckartig einzuatmen, was nur dazu führte, dass sie fürchterlich zu husten anfing. War ich froh kein Sterblicher mehr zu sein, diese ganze Zerbrechlichkeit würde mir bloß wieder auf den Wecker fallen. Sie schlug ihre Augen auf und es dauerte einige Sekunden ehe sie meinen Blick fand. Ich konnte erkennen, dass es wieder einen kurzen Moment dauerte, bis die Erkenntnis über die Geschehnisse in ihr Bewusstsein zu sickern schienen. Dann begann sie mit einem Mal zu zittern, als hätte man einen Knopf gedrückt, der ihre gesamten Glieder durchschütteln sollte. In Anbetracht ihrer niedrigen Körpertemperatur war das natürlich nicht verwunderlich. Ein heftiger Adrenalinausstoß wurde in ihrem Inneren freigesetzt, was den Duft ihres Blutes noch intensivierte. Ich würde sofort zuschlagen müssen, sonst würde es an Wärme verlieren…
    „D-d-a-aank-k-k-e“, flüsterte sie schwerfällig. Ihre Zähne schlugen beim Sprechen hart aufeinander, weil sie vor Kälte bibberte. Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte. Der einzige Gedanke, der mir sofort durch den Kopf ging, war, dass ich sie am liebsten gewärmt hätte. Aber das war weder möglich noch klug. Was war bloß los mit mir?
    „Wo wohnen Sie?“, fragte ich schließlich. Ich würde sie nach Hause bringen und dann wäre ich weg,

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