Erlösung
bevor diese ganze Sache noch weiter aus dem Ruder laufen konnte. Sie versuchte mir zu antworten, aber das Zittern wurde nur noch heftiger, es war nicht auszuhalten. Wie sollte sie mir so die Adresse nennen? Je mehr Zeit verging, desto schlechter würde es ihr letztendlich gehen.
„Okay, passen Sie auf. Ich werde jetzt vorsichtig in Ihre Tasche greifen, damit ich Ihre Brieftasche herausholen kann. Ich möchte nur wissen, wohin ich Sie bringen soll, in Ordnung?“ Ich hob meine Hände zuerst in die Luft, damit sie sie sehen konnte, möglicherweise wirkte diese Geste auch ein wenig beruhigend, zumindest hoffte ich das. Da sie nur nickte, öffnete ich den Reißverschluss ihrer Jacke und meine Finger glitten sachte in die Innentasche. Als ich auf einen Gegenstand stieß, überkam mich sofort ein Gefühl der Erleichterung. Es war tatsächlich ihre Geldbörse. Wenigstens musste ich nicht weiter in ihren Sachen wühlen, das wäre selbst mir unangenehm gewesen. Ich öffnete das Portemonnaie und das Erste, was mir ins Auge fiel, war ein Studentenausweis. Ihr Name war Evelyn Richwood…
Peters Geschichte
Ich spürte, wie ich die Kontrolle über meinen Körper zurückbekam. Schneller als beim letzten Mal, denn die Schatten der Erinnerung ließen sich leichter verdrängen. Meine Sinne stellten sich automatisch wieder auf das Hier und Jetzt ein und ich bemerkte sofort den dunklen Fleck auf dem Boden vor mir. Es war Blut. Der unverkennbare Geruch stieg mir augenblicklich in die Nase, aber es war verunreinigt und nicht menschlich. Es war das eines Vampirs. Meine Augen folgten den rötlichen Tropfen, die von der kleinen Pfütze bis zur Fensterfront wanderten. Peter hatte sich bis zu der äußersten Glastür zurückgezogen. Seine Finger waren fest auf die Bisswunde an seinem Hals gepresst, sie blutete immer noch. Da sich die Haut eines Vampirs um ein vielfaches schneller regenerierte als bei einem Sterblichen, konnte ich davon ausgehen, dass noch nicht zu viel Zeit verstrichen war. Zum Glück. Schließlich war es gefährlich, wenn ich so aus der Gegenwart gerissen wurde, dadurch wurde ich zur leichten Beute. Ein Funken Hoffnung keimte in mir auf; vielleicht würde ich diese Gabe doch schon bald kontrollieren können, das würde alles soviel einfacher machen. Ich musste zwangsläufig an die Bilder aus Peters vergangenen Empfindungen denken, die durch sein Blut bis in mein Bewusstsein gedrungen waren. Wer war diese junge Frau und warum hatte ich ausgerechnet diese Erinnerung wahrgenommen?
„Wer ist Evelyn?“, fragte ich ihn geradeheraus. Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, aber sie ließ ihn trotzdem zusammenzucken, als hätte ich ihn angeschrien.
„Sag nie wieder diesen Namen…“, krächzte er. In seinem Blick lag auf einmal ein merkwürdiger Ausdruck, es war eine Mischung aus Traurigkeit und Verzweiflung. Täuschte mich meine sonst so präzise Wahrnehmung? So etwas hatte ich bei ihm wohl noch nie gesehen.
„Sie ist in deinen Gedanken. Ich habe sie gesehen, so klar und deutlich, als wäre ich selbst bei ihr gewesen, um sie aus dem kalten Wasser zu befreien, nachdem das Eis unter ihr eingebrochen war…“
Er schnaubte verächtlich. „Noch so eine Gabe, die du dir nicht zu Nutzen machst. Du dringst in meinen Kopf ein und das einzige was du findest, ist eine längst verblasste Erinnerung an…“, er stockte abrupt. Ich konnte spüren, dass er den Namen kaum über seine Lippen brachte. „Evelyn…“ Sie musste eine Rolle in seinem Leben gespielt haben.
„Erzähl´ mir von ihr.“ Er knurrte nur. „Hör zu, Peter, es war nicht meine Absicht in deinen Kopf zu schauen. Wenn ich könnte, dann würde ich diese Fähigkeit sofort wieder ablegen, aber ich habe keine Wahl.“
„Pah!“, spie er jetzt giftig aus. „Du besitzt wahrhaftig all´ das, was sicherlich einige von unserer Art begehren. Wofür ich sogar töten würde, doch du bist so engstirnig. Du begreifst das noch nicht einmal.“ Sein Tonfall war nun wieder angriffslustiger. „Eine besondere Gabe zu haben ist schon ein Privileg, aber du kriegst natürlich zwei… Du könntest einer der mächtigsten Vampire werden. Allein durch Vincents Einfluss könntest du es bis in den Rat der Ältesten schaffen, doch du hältst alles in dir zurück. Wenn du endlich mal deiner Natur freien Lauf lassen würdest, wäre es so einfach.“ War es eine Alternative, dem Zorn die Macht über mich zu geben, nur um mehr Stärke zu erlangen? Ich sprach diese Frage
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