Erlösung
hätte sie mit Stolz ausgeführt. Inzwischen gab es allerdings etwas Wichtigeres als Regeln oder Pflichten in meinem unsterblichen Leben. Ich liebte einen Menschen, auch wenn es verboten war. Und Lesleys Liebe war ebenso tief wie meine. Sie hatte mich beschützt, obwohl ihr als Sterbliche, nur begrenzte Mittel zur Verfügung standen. Ihr Blut hatte mich vor Schlimmerem bewahrt, doch genau aus diesem Grund lag sie nun in diesem sterilen Krankenzimmer. Ihr ohnehin schon krebsgeschwächter Körper hatte den vehementen Blutverlust natürlich kaum verkraftet, deswegen würde ich mich wohl ewig schuldig fühlen. Mein Handy holte mich plötzlich in die Gegenwart zurück, es vibrierte beinahe vorwurfsvoll in meiner Hosentasche und ich wusste schon, dass ich den Anruf nicht entgegennehmen wollte. „Entschuldige Liz, mein Telefon…“ Ich zog es aus meiner Jeans und als ich Vincents Nummer auf dem Display sah, musste ich ein Seufzen unterdrücken.
„Es geht also los“, meldete ich mich ausdruckslos.
„Meine Fähigkeit gedeiht in dir wohl immer besser?“ Er klang zufrieden, also wollte ich ihm nicht sagen, dass es nicht an seiner Gabe lag. Mir war einfach klar gewesen, dass es höchstens ein paar Tage dauern würde, bis der Rat zu einer Entscheidung kommen würde. Und nun war es soweit. „Wo soll ich hinkommen?“
„Wir haben die Information erhalten, dass Crane sich mit seinen Verbündeten irgendwo in Schottland verschanzt hat.“
Lesley sah mich neugierig an und ich streichelte zärtlich über den Arm, der nicht mit einem Infusionsschlauch bedeckt war. „Ist eure Quelle zuverlässig?“, wollte ich wissen.
„Das will ich hoffen, die Nachricht kam nämlich von Rebecca.“
Für einen Moment konnte ich darauf nichts erwidern, mein Gehirn benötigte einige Sekunden, um diesen Namen an den richtigen Platz zu bringen. „Rebecca?“, fragte ich dann überrascht.
„Ja“, antwortete er seelenruhig. „Sie hat überlebt, und jetzt ist sie auf dem Weg zurück nach Zürich. Es gibt sowieso noch etwas, was ich dir über sie erzählen muss. Ich hätte es wohl schon früher tun sollen.“ Es entstand eine kurze Pause. „Nun, mehr davon, wenn du hier bist. Wie geht es Lesley?“
Ich sah in die blauen Augen meiner Freundin. „Nicht gut genug.“
Er schien mich zu verstehen und bohrte nicht weiter. „Ich schicke unverzüglich jemanden, der sie im Auge behält, damit wir uns keine Sorgen um sie machen müssen, wenn du hier bist. Obwohl ich nicht glaube, dass Crane einen neuen Versuch startet, wo der Andere so gescheitert ist.“ Ich war mir da nicht so sicher, allerdings fragte ich mich abermals, warum man Liz überhaupt mit in diese Sache gezogen hatte. War sie wirklich nur ein gutes Druckmittel? Wenn überhaupt, dann war sie es sowieso nur in Bezug auf mich, den Ältesten – außer Vincent vielleicht – war Lesley ziemlich egal.
„Wie lange wirst du brauchen, bis du in Zürich bist, Nicholas?“
„Ich mache mich auf den Weg, sobald dein Schutzkommando hier ist.“
„Ist schon so gut wie unterwegs.“
„Okay, danke. Ich melde mich dann später noch einmal.“ Mit diesen Worten beendete ich das Telefonat und das Handy verschwand wieder in meiner Hosentasche. Ich wollte nicht gehen, doch mir blieb keine andere Wahl und Lesley wusste das. Aber das machte die Sache überhaupt nicht einfacher, denn das schlechte Gefühl haftete weiterhin an mir und mir war klar, dass es nicht nur mit meiner Vision zu tun hatte. Es war unumgänglich, dass auch noch andere Dinge geschehen würden. Dinge, die alles verändern würden, und ich wusste nicht, ob ich sie alle aufhalten konnte.
„Schutzkommando?“, fragte Liz zögernd.
„Du musst dir keine Sorgen machen.“ Das hatte ich beim letzten Mal auch gesagt und es war ganz anders gekommen. „Ich möchte nur auf Nummer sicher gehen und Vincent ebenso.“
„Verstehe. Und wann kommst du zurück?“
„Keine Ahnung“, ich beugte mich zu ihr und küsste sie zärtlich auf die Stirn. „Aber, ich hoffe bald.“ Als ich mich zurücklehnte und sie ansah, lächelte sie zufrieden.
„Das hoffe ich auch… und wenn du zurückkommst dann…“, sie biss sich auf die Unterlippe und mit einem Mal schien sie nervös zu werden.
„Ja?“, hakte ich schmunzelnd nach.
„Nun, wir haben jetzt mehrmals über diese Sache gesprochen und ich hatte Zeit, um mir über die Konsequenzen deines Daseins Gedanken zu machen. Ich meine, was passieren würde, falls ich so werde wie du und Vincent.“
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