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Erlösung

Erlösung

Titel: Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Dungs
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Aufmerksamkeit richtete sich vollständig auf den Brief in meiner Hand. Falls es überhaupt ein Brief war. Meine Gedanken überschlugen sich. Das kleine Päckchen legte ich erst einmal auf das Bett.
    „Möchtest du allein sein?“ Liz berührte sanft meinen Arm.
    „Nein, bitte bleib…“ Ich öffnete langsam das Kuvert. Nur ein einzelnes Blatt war darin enthalten. Behutsam nahm ich es heraus und faltete es auseinander. Dann begann ich die Nachricht leise vorzulesen:
     
    „Nicholas, ich weiß, dass du dich fragst, warum ich mich für dieses Ende entschieden habe. Dass du nicht begreifst, wieso ich so handelte… doch sei dir gewiss, dass es für mich die richtige Wahl war. Mein Leben war lang und es war genug. Vielleicht war ich dem ganzen einfach überdrüssig, aber ich hatte das Gefühl, dass meine Zeit schon länger gekommen war. Dich trifft keine Schuld, denn ich hätte nicht zugelassen, dass du mich davon abhältst. Schon viel zu lang habe ich mich vor mir und der bitteren Vergangenheit zu verstecken versucht, aber Elisabeth hat mir wieder und wieder gezeigt, dass es nun mal kein Entrinnen gibt. Ich bin was ich bin. Ich hoffe also, dass du mir den letzten Dienst erwiesen hast, weil es mein Wunsch war und ich hoffe, dass du mir irgendwann meine Selbstsucht verzeihen kannst. Über hundertsiebzig Jahre hast du an meiner Seite gestanden und ich war jeden einzelnen Moment stolz auf dich. Es kann nichts geben, das meine Zuneigung ausdrückt, doch ich möchte dir dennoch etwas schenken. Etwas, das mir viel bedeutet hat. Oder viel mehr hinterlasse ich es deinem entzückenden Engel. Lesley wird eine Bereicherung für unsere Art sein… ich wünsche euch alles und (wie immer) noch ein bisschen mehr. Vincent"
     
    Das waren sie also, die letzten Worte, die letzte Nachricht meines einstigen Mentors, der sich wie erwartet auf sein Ende eingestellt hatte. So erhaben und abgeklärt, wie ich es schon immer von ihm gewohnt gewesen war. Und ich wusste natürlich, was er mit dieser Botschaft bezwecken wollte. Dafür hatte ich ihn zu gut gekannt… und er mich ebenso, denn es funktionierte. Was es genau war, konnte ich gar nicht sagen oder bestimmen, doch sein Brief hatte mir tatsächlich ein wenig die Last von den Schultern genommen. Es fühlte sich etwas leichter an… besser. Die Stille breitete sich für einige Minuten im Raum aus und wir starrten beide schließlich das in Seidenpapier eingeschlagene Schächtelchen an.
    „Willst du es nicht aufmachen“, fragte Lesley dann irgendwann.
    „Es ist dein Geschenk“, gab ich zu Bedenken.
    Liz holte tief Luft. „Okay…“ Sie begann es vorsichtig auszupacken. Ohne Papier erkannte man sofort, dass es ein Schmuckkästchen war. Es war dunkelblau und mit feinem Samt überzogen, der an den Ecken schon etwas abgenutzt war. Man hätte in jenem Augenblick die Luft im Zimmer schneiden können und ich war bestimmt ebenso gespannt wie Lesley, zu sehen, was die Schachtel enthielt. Als mein Engel dann den Deckel hochklappte, fehlten mir abrupt die Worte.
    „Wie wunderschön!“ Liz sprach aus, was ich dachte. Das funkelnde und tiefe Rot des Edelsteins wirkte sofort vertraut. Irgendetwas sagte mir, dass ich so einen Rubin schon mal gesehen hatte. Vielleicht sogar diesen?
    „Wie kann er mir bloß so ein kostbares Schmuckstück vermachen? Das kann ich nicht annehmen.“
    Ich schüttelte den Kopf. „Natürlich. Vincent hat mit Bedacht gewählt, wer könnte es mehr verdient haben als du? Du bist die würdigste Person, die ich kenne und Vincent hatte ebenfalls eine hohe Meinung von dir.“
    „Du bist süß.“ Kein Mann mochte dieses Attribut, aber ich wusste, wie sie es meinte. Lesley nahm den Ring heraus und betrachtete ihn von allen Seiten. „Da ist eine Inschrift, glaube ich.“ Sie kniff ihre Augen etwas zusammen, um besser sehen zu können. „Für immer der Deine, W.“ Ihre blauen Augen wirkten fragend. Und mit einem Mal wusste ich plötzlich, woher ich den Rubin kannte. Dieses Rot hatte ich schon einmal gesehen, am verzierten Griff eines Breitschwertes.
    „Das muss der Ring von Agnes gewesen sein.“ Liz schien noch verwirrter.
    „Wer ist Agnes?“
    Ich setzte mich zu ihr auf das Bett. „Sie war Vincents Frau. Als Mensch war er verheiratet gewesen und seine Frau damals hieß Agnes. Es muss ihr Ring sein.“
    „Woher weißt du das? Hat er dir das gesagt?“
    „Nein, das war gar nicht nötig. Ich habe dieses unverkennbare Rot schon einmal gesehen, an einem Schwert, das Vincent

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