Erloschen
Sorgen um sie. Deshalb rief er eigentlich an. Sehr nett von ihm, ermahnte sie sich.
»Jake ist heute Nachmittag wieder weggelaufen«, sagte sie, um von sich abzulenken. »Und er ist noch nicht zurück.«
»Soll ich ihn suchen gehen?«
»Nein, Patrick hat schon überall nachgesehen.« Plötzlich fiel ihr ein, dass Jake wahrscheinlich nicht auf Patrick hören würde. Warum hatte sie nicht eher daran gedacht? Vielleicht sollte sie rausgehen und ihn rufen. »Es ist schon spät«, sagte sie zu Ben. »Und es regnet.«
»Das macht mir nichts. Ich kann in fünfzehn, zwanzig Minuten bei dir sein.«
Vom Fenster aus konnte Maggie den Abhang hinten am Grundstück sehen, hinter ihrem Zaun. In den Ecken standen hohe Kiefern wie Wächter. Die Straßenbeleuch tung drang nicht bis zu jenem Bereich, und Maggies dezente Gartenbeleuchtung war gerade stark genug, um Schatten zu werfen.
»Lucy meint, ihm wird nichts passieren und dass er von allein wiederkommt. Ich kann nicht dauernd hinter ihm herlaufen und ihn nach Hause zerren.«
Auf der anderen Seite des Zauns blitzte ein Licht auf, wie Maggie durch die Spalten zwischen den Holzbal ken sehen konnte. Es flackerte und bewegte sich entlang der Grundstücksgrenze. So plötzlich, wie es aufgeleuchtet hatte, erlosch es auch.
War es eine Spiegelung gewesen? Oder spielte ihre Fantasie ihr Streiche?
Sie rieb sich den Nacken und tastete die Wunde ab. Patricks Wein hatte das Pochen in ihrem Kopf beseitigt. Jetzt war es ruhig in ihrer Schläfe, aber ihr Nacken tat immer noch weh.
»Wahrscheinlich hat Lucy recht«, sagte Ben schließlich, nur hatte Maggie bis dahin schon vergessen, womit Lucy recht haben könnte.
Sie löschte ihre Lampe und ging von Fenster zu Fenster, um nach dem Licht Ausschau zu halten. Bis auf den stumm geschalteten Fernseher war das Haus dunkel. Rote und blaue Reflexionen ihres Lebens nach Jeffery Coles Interpretation erhellten die Wohnzimmerecken. Maggie lief in die Küche und sah durch die Hintertür. Dort bemerkte sie ein erneutes Aufleuchten.
»Ich ruf dich zurück«, sagte sie zu Ben. »Ich muss mal was nachsehen.« Sie legte auf, ehe er etwas sagen oder fragen konnte.
Der Lichtkegel wippte hinter den Holzlatten hin und her und beleuchtete den Pfad zwischen Zaun und Flusshang. Obwohl es diesig war, konnte Maggie eine menschliche Silhouette erkennen, die dem Licht folgte.
»Was ist?«
Sie erschrak, als sie Patricks Stimme hörte. Er stand nur in einer Pyjamahose in der Küchentür.
»Da draußen ist jemand«, flüsterte sie und stellte fest, dass ihr Herz raste.
Patrick blickte über ihre Schulter, und Maggie sagte: »Sicher ist es nichts, bloß jemand, der nach seinem Hund sucht.« Genau wie sie es gerade vorgehabt hatte.
»Oder dieser durchgeknallte Nachbar, der hinter Jake her ist.«
Er drehte sich um und lief zur Treppe.
»Was jetzt?«
»Ich ziehe mir was über«, antwortete er und fügte auf halbem Weg die Treppe hinauf hinzu: »Nimm deine Waffe mit.«
32
Jeffery hatte Sam gebeten, die Fotos für sein Personenporträt zu knipsen und aufzubereiten, damit er sie gleich am nächsten Morgen vorliegen hatte. Sie hätte das schon lange erledigen sollen, aber Otis P.s irre Geschichte, ob nun wahr oder erfunden, hatte ihr ordentlich zugesetzt. Ständig fragte sie sich, ob tatsächlich irgendwo eine Frauenleiche in einem Abwasserrohr lag, die orangenen Strümpfe unter Matsch und Laub verborgen.
Als sie das Gefängnis verlassen hatten, wollte Sam nur noch nach Hause. Die ganze Woche war sie erst so spätabends heimgekommen, dass ihre Mutter und ihr Sohn schon im Bett lagen. Deshalb beschloss sie, direkt nach Hause zu fahren, statt Jefferys Bilder zusammenzusu chen. Ausnahmsweise rangierte die Arbeit heute an zwei ter Stelle.
Sie aß mit ihrer Mutter und Ignacio – oder Iggy, wie ihn die meisten seiner Freunde nannten – zu Abend. Fast wie eine richtige Familie. Danach kuschelte sie sich mit ihrem kleinen Sohn ins Bett, und er las ihr vor. Okay, das war andersherum als in den meisten normalen Familien. Bald waren sie beide eingenickt. Als ihre Mutter sie weckte, wollte Sam nicht aufstehen. Es war ein langer, verrückter Tag gewesen, aber sie hatte es Jeffery nun mal versprochen.
Sie war so daran gewöhnt, dass er ihr Waschzettel gab, welche Hintergrundbilder oder welches Filmmaterial er unbedingt haben wollte, dass sie schon seit Langem keine Fragen mehr stellte. Am Ende schrieb sie einfach ihre Überstunden auf, und er sorgte dafür, dass sie sie
Weitere Kostenlose Bücher