Erloschen
streng.
»Das ist keine Waffe.« Sams Hände zitterten von dem Schreck, aber sie gab sich alle Mühe, die Kamera festzuhalten. »Es ist eine Kamera«, erklärte sie. »Die möchte ich lieber nicht ins Gras legen.«
O Gott, sie konnte nicht glauben, dass sie das gesagt hatte! Jeffery würde zweifellos behaupten, dass sie inzwischen ja richtige Cojones bekommen hätte.
»Was zum Henker machen Sie hier?«
»Naturaufnahmen«, antwortete Sam prompt. Jeffery hatte sie gelehrt, eine gute Lügnerin zu sein. »Da war etwas im Gras.« Was nicht ganz gelogen war. Und selbst ihre Mutter würde zustimmen, dass eine Lüge zum Zwecke des Selbstschutzes verzeihlich war.
»Nachts?«
Sam zuckte mit den Schultern. Sie kam sowieso in die Hölle, also antwortete sie: »Ich habe einen Infrarotfilter.«
Die Frau ging um Sam herum, sodass sie vor ihr stand, und leuchtete ihr mit einer Taschenlampe ins Gesicht. Sam konnte die Waffe sehen, die auf sie gerichtet war. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie keine Vorstadthausfrau aus einer Nachbarschaftswachtruppe vor sich hatte.
»Seit wann haben die Kabelsender denn Naturfoto grafen?«
Jetzt erkannte Sam ihre Stimme. Das Zielobjekt von Jefferys Doku hatte soeben Sam zum Zielobjekt gemacht.
33
In der warmen, trockenen Küche schlug Patrick vor, dass sie alle einen Kaffee tranken, um Maggie abzulenken, die nach wie vor die Frau mit der Kamera erschießen wollte. So wütend hatte er seine Halbschwester noch nie erlebt. Wahrscheinlich wäre ihr ein irrer Serienmörder lieber gewesen als diese Reporterin.
Er bestand darauf, dass Maggie den Kaffee machte, und gab vor, er wüsste nicht, wo die Filtertüten wären. Tatsächlich hatte er im vergangenen Monat öfter Kaffee hier gekocht als Maggie in den letzten paar Jahren. Seit sie aus dem Regen ins Haus gekommen waren, hatte Maggie ihre Waffe nicht aus der Hand genommen. Jetzt steckte sie hinten in ihrem Jeansbund, damit sie die Hände zum Kaffeekochen frei hatte.
Patrick holte einen Stapel Handtücher aus dem Wäscheschrank oben im Flur und bot der Frau eines an, die sich als Samantha Ramirez vorgestellt hatte. Als sie sich bei ihm bedankte, hielten ihre Augen – ein umwerfendes Mokkabraun – seinen Blick einen Tick zu lange, bevor sie zu begreifen schien, dass er nicht auf ihrer Seite war. Er wusste nicht, woher diese Frau und Maggie sich kannten, denn Maggie redete unentwegt von einem »starken Stück« auf CNN . Ramirez bot ihr keine Erklärung an. Offenbar war ihr klar, dass ihre Lage schon heikel genug war und sie am besten so wenig wie möglich sagte.
»Ich kapier’s nicht«, sagte Maggie, während sie die Kaffeekanne in die Maschinenhalterung rammte. »Was ist denn an mir so spannend?«
Sie drückte den Einschaltknopf und merkte, dass der Stecker nicht in der Dose war. Ungeduldig riss sie an dem Kabel und schob es in die nächstgelegene Steckdose.
Bevor Ramirez antworten konnte, fuhr Maggie fort: »Ich habe mir solche Mühe gegeben, mich vor Verbrechern zu schützen – der Zaun, das Alarmsystem, der Fluss hinter dem Grundstück –, und Sie und Ihr Partner breiten mein Leben vor jedermann aus, und das innerhalb von – wie viel – vierundzwanzig Stunden?«
Sie drückte wieder auf den Schalter, und diesmal begann die Maschine zu zischen und zu fauchen.
»Warum?«, fragte Maggie und blieb vor Ramirez stehen, die ihr gegenüber an der Kücheninsel saß. »Warum ich?«
»Ob Sie’s glauben oder nicht, das ist nichts Persön liches.«
Ramirez blickte von Maggie zu Patrick. Anscheinend erwartete sie, dass er ihr zu Hilfe kam. Vielleicht hielt sie ihn für vernünftiger und hatte bemerkt, dass er nicht aufhören konnte, sie anzusehen. Sie rubbelte sich das schulterlange Haar mit dem Handtuch ab, sodass die dunklen Locken wirr um ihr Gesicht fielen. Patrick erinnerte sie an eine schöne Gestalt aus der griechischen Mythologie.
»Nein, das glaube ich nicht«, erwiderte Maggie. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte Ramirez an. Fast flüsternd fügte sie hinzu: »Ist Ihnen eigentlich klar, dass ich Sie beinahe erschossen hätte?«
Ramirez’ Kopf zuckte nach oben, und ihre Hand mit dem Handtuch erstarrte.
Nein, dachte Patrick, das war ihr nicht klar gewesen – und ihm auch nicht.
Patrick mischte sich nicht ein, beobachtete die beiden Frauen aufmerksam und blieb im Hintergrund, nahe genug, um notfalls einzugreifen, aber mit hinreichend Abstand, dass Maggie ihn ignorieren konnte.
Bluffte sie? Hatte sie die
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