Erloschen
ausbezahlt bekam. Und zurzeit konnte sie das zusätzliche Geld gut gebrauchen. Außerdem war das immer noch besser als Kellnern, was sie über Jahre getan hatte, als sie wieder zur Schule gegangen war. Ohne ihre Mutter allerdings, die sich derweil um ihren Sohn kümmerte, würde sie nichts davon schaffen.
Der Regen verlangsamte den Verkehr auf der Interstate. Als sie bei der Adresse ankam, die Jeffery ihr genannt hatte, war es bereits sehr spät. An Abenden wie diesem, wenn sie aus einem warmen Bett steigen und in den kalten Regen hinausmusste, fiel es ihr schwer, ihren Traumjob auch als solchen wahrzunehmen.
Sie stülpte eine Plastikhaube über ihre Ausrüstung, zog den Reißverschluss ihrer Regenjacke zu und setzte sich die Kapuze auf. Der Regen hatte ein wenig nachgelassen. Sam parkte zwei Blocks entfernt von der Wohnanlage, die Jeffery ihr aufgeschrieben hatte. Sie konnte ihren Wagen unmöglich auf der Straße davor parken, ohne aufzufallen. In dieser Gegend fuhr man BMW , Lexus oder Mercedes, da hätte ihr zehn Jahre alter Chevy sofort den Sheriff auf den Plan gerufen, und womöglich würde er abgeschleppt werden, bis sie wieder zurück war.
Ein Pfad führte hinter den Häusern zwischen hohen Zäunen und einem steilen Abhang entlang. Sam schaltete ihre Taschenlampe an, um sich zu orientieren, dann machte sie sie gleich wieder aus. Nachdem der Regen in ein stetes Nieseln übergegangen war, konnte sie Wasserrauschen von hinter dem Grashang hören. An einer Stelle war ein Teil des Flusses samt Felsenufer zu sehen.
Sie blieb stehen, bückte sich und stellte ihre Kamera tasche ins nasse Gras. Im Wagen hatte sie bereits al les vorbereitet, auch die Regenhüllen über ihre Kamera und die Objektive gezogen, obwohl die angeblich wasser fest waren. Der Schirm über der Linse und das Infra rotlicht waren teures Zubehör, das ihr Jeffery spendiert hatte.
Als er ihr die Sachen gab, hatte sie gescherzt, dass er sie noch zu einem Paparazzo machte. Jeffery fand es nicht witzig. Er war ein preisgekrönter Journalist, der bald seine eigene Nachrichtensendung moderieren würde – oder zu mindest hoffte er das. Sam glaubte nicht, dass ihm klar war, wie wenig er in seinem Alter mit den Jungspunden der Branche konkurrieren konnte.
Er hatte es von seinen – wie er es nannte – bescheidenen Anfängen als Highschool-Lehrer weit gebracht. Sam begriff nicht, wieso ihm dieser Erfolg nicht reichte. Aber eine eigene Sendung war so etwas wie eine Obsession von ihm geworden. Er schien entschlossen, sie zu be kommen, egal was er dafür tun musste. Egal was Big Mac verlangte. Ebenso war ihm schnurzegal, welche Hürden Sam bewältigen musste, denn ihre Zukunft war längst untrennbar mit seiner verknüpft.
Könnte sie ihm doch begreiflich machen, warum sie sich bei Aufträgen wie diesem wie ein Paparazzo fühlte. Solche Sachen machte er immer häufiger, sodass die Grenze zwischen echtem Journalismus und Sensations-Reality- TV langsam aufzuweichen begann. Wenn Jeffery sie nur so sehen könnte!
Sam griff nach der Taschenlampe in ihrer Regenjacke. In dem Moment bemerkte sie einen Lichtstrahl weiter vorn, etwa hundert Meter von ihr entfernt, und dem Licht folgte eine Männergestalt.
Sam erstarrte.
Vielleicht war es ein Anwohner, der seinen Hund ausführte, auch wenn der Weg hier sehr uneben und steil war. Und Sam konnte keinen Hund sehen. Nein, der Mann schien auf das Haus hinter dem Zaun konzen triert, denn der Schirm seiner Baseballkappe wies in diese Richtung.
Was Sam ihm schlecht zum Vorwurf machen konnte, denn immerhin schlich sie selbst spätabends hier herum, um heimlich Fotos von dem Haus zu machen.
Vor ihr knackten Zweige. Etwas bewegte sich im hohen Gras, das oben am Hang wuchs. Sam ging auf die Knie und hielt den Atem an. Sie versuchte, sich damit zu beruhigen, dass weiter unten am Fluss sicher Wildtiere lebten. Es war wahrscheinlich ein Biber oder ein Waschbär. Was auch immer – es bewegte sich von ihr weg und auf den Mann zu.
Vorsichtig und lautlos nahm sie ihre Kamera auf, den Blick nach unten gerichtet. Das Teleobjektiv war so schwer, dass Sam beide Hände dazu brauchte. Sie hob sie auf Augenhöhe.
»Runter mit der Waffe.«
Die Stimme hinter ihr erschreckte sie dermaßen, dass sie heftig zusammenzuckte. Instinktiv hielt sie ihre Kamera fest umklammert. Zuerst dachte sie, die Warnung galt dem Mann vor ihr, doch als sie aufsah, war er verschwunden.
»Runter damit.« Die Frauenstimme klang sehr beherrscht und
Weitere Kostenlose Bücher