Erloschen
sah die andere an.
»Nein«, antwortete Racine.
Aus dem Augenwinkel sah Maggie sie schmunzeln.
Dann vibrierte das Handy in ihrer Tasche, und Maggie nahm es heraus.
»Maggie O’Dell«, meldete sie sich.
»Maggie, ich bin’s, Tully. Ich habe gerade von den Brän den erfahren. Soll ich kommen?«
»Nein, es sei denn, du möchtest gerne mit Racine und mir dumm rumstehen.«
»Wie übel ist es?«
»Sehr übel. Diesmal gibt es Opfer. Im Untergeschoss einer Kirche fand ein Treffen statt.«
»Und es ist mitten am Tag. Er wird dreister.«
»Oder skrupelloser.«
Racines Telefon bimmelte ebenfalls. Sie zog es aus ihrer Tasche und ging ein wenig auf Abstand zu Maggie.
»Der Kerl mit dem Rucksack«, sagte Tully. »Er war bei den Lagerhausbränden. Auf dem Film ist er mitten unter den Schaulustigen zu sehen, bevor das zweite Gebäude in die Luft flog.«
»Was nicht heißen muss, dass er der Brandstifter ist.«
»Nein, aber zieh dir das rein: Statt einfach wegzugehen, ist er in einen Kanalschacht gestiegen.«
»Das ist merkwürdig. Bist du sicher?«
»Ich bin noch mal zum Brandort gefahren. Ja, ganz sicher. Keiner watet freiwillig durch die Kanalisation, es sei denn, er hat etwas zu verbergen.«
»Oder will nicht gesehen werden. Hast du eine Ahnung, wer er ist?«
»Nein, und ich weiß nicht mal, wie man ihn finden könnte, ohne sämtliche Kanaldeckel im Umkreis von zehn Blocks zu observieren.«
»Keine schlechte Idee.«
»Das ist ein Scherz, oder?«
»Na ja, nicht im Umkreis von zehn Blocks, aber viel leicht um den Brandort herum. Er ist während des Feuers dortgeblieben und danach mindestens einmal wieder zurückgekommen. Vielleicht sucht er etwas in der Gasse, das er dagelassen hat und das ihn belasten könnte.«
»Gut möglich.«
Tully klang müde. Maggie wollte ihn fragen, ob es ihm gut ging, ob seine Schulter okay war. Doch solche Fragen hasste er genauso sehr wie sie.
»Wann bist du bei Kernan fertig?«
Kernan . Den hatte sie schon wieder vergessen.
Sie umklammerte das Telefon fester, rieb sich die Augen und tastete mit den Fingern über die Narbe an ihrer Schläfe. Dass ihre Antwort zu lange ausblieb, wurde ihr erst bewusst, als Tully sagte: »Falls ich irgendwas tun kann, sag mir Bescheid, okay?«
Sie lächelte und versprach es ihm. Dann legte sie auf. Gleichzeitig beendete Racine ihr Telefonat. Sie sah nicht besonders erfreut aus und vermied es, Maggie anzusehen, während sie wieder auf sie zuging. Stattdessen guckte sie zum Feuer, zu den Rettungswagen, überallhin, nur nicht zu Maggie.
»Sie haben endlich die Informationen über das Brust implantat freigegeben«, sagte sie, den Blick nach wie vor abgewandt. »Der Hersteller unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht und sagt, wir sollen den behandelnden Arzt fragen.«
»War das der Hersteller?«
»Nein, das war ihr Chirurg. Unsere Jane Doe hieß Glo ria Dobson und hatte Brustkrebs. Eine dreifache Mutter aus Concordia, Missouri. Sie sollte die ganze Woche auf einer Vertreterkonferenz in Baltimore sein.«
Maggie entging nicht, dass Racines Blick weiter von einem Punkt zum anderen huschte und sie angewidert den Mund verzog. Nach außen gab sie die abgebrühte Ermittlerin, doch es war nicht zu übersehen, dass ihr die Nachricht naheging.
»Ist dir mal aufgefallen«, sagte Racine, »dass es immer Frauen sind, die in Müllcontainern landen? Männer enden sehr selten im Abfall.«
Maggie erwähnte nicht, dass Gloria Dobson neben und nicht in dem Container gefunden worden war. Es war ein unwichtiges Detail, wenn man mit der Grausamkeit eines sinnlosen Mordes rang.
»Sie hat den Krebs überlebt und endet in einem Scheißcontainer«, murmelte Racine.
46
Sam sah ihn zuerst hinter dem Absperrband. Als er sie bemerkte, löste sein ausschließlich aus Grübchen und wei ßen Zähnen bestehendes Lächeln ein Flattern in ihrem Bauch aus, das beschämend teenagerhaft anmutete.
Was war denn mit ihr los?
Rasch warf sie einen Blick zu Jeffery, ob er etwas mitbekommen hatte. Zum Glück war er viel zu sehr damit beschäftigt, Jeffery Cole zu sein, als dass er andere beachtete. Was Sam immer schon ein bisschen seltsam erschienen war. Sollten Enthüllungsreporter nicht hyperaufmerksam sein? Seit sie erfahren hatten, dass mehrere Personen im Kirchenkeller gefangen waren, war Jeffery völlig auf die Seitentür fixiert, durch die sie seiner Mei nung nach herauskommen müssten. Bisher war erst eine Person gerettet worden. Jeffery ließ Sam die Tür filmen,
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