Erloschen
was du hast.«
Racine schwieg und betrachtete die Knochen auf Lings Tablett.
»Ich dachte, ich hätte den Fall gelöst«, begann sie endlich. »Ich habe gestern Abend mit Gloria Dobsons Mann geredet. Laut seiner Aussage wollte ein Kollege mit ihr auf diese Tagung fahren. Er sagte, ihm wäre wohler dabei gewesen, dass sie die tausendeinhundert Meilen nicht alleine fahren musste. Und er mochte den jungen Kollegen, meinte, er wäre ein netter Kerl.«
Sie zog ein kleines Notizbuch aus ihrer Jackentasche und blätterte darin.
»Zach Lester, achtundzwanzig, eins fünfundsiebzig, zweiundsiebzig Kilo, hellbraunes Haar, blaue Augen. Mr. Lester erschien ebenfalls nicht zur Vertretertagung. Ich habe ihn und Dobsons silbernen 2007er Toyota Highlander zur Fahndung ausgeschrieben.«
»Du denkst, Lester hat sie umgebracht und ihren Wagen geklaut?«
»Manchmal ist die einfachste Erklärung die richtige.«
»Wann hat Mr. Dobson das letzte Mal mit seiner Frau gesprochen?«
»Vor drei Tagen. Sie und Lester waren schon fast in Baltimore. Wie er sagt, war es nicht ungewöhnlich, dass er seitdem nichts von ihr gehört hat. Die Vertretertagungen sind angeblich sehr anstrengend, und er war froh, dass sie entspannt genug war, um nicht dauernd nachfragen zu müssen, wie es ihm und den Kindern geht.«
»Welches Motiv hätte Lester, sie umzubringen?«
»Kollegen, eine weite Fahrt ganz allein? Vielleicht lief was zwischen ihnen. Vielleicht hat er ihr eins über den Schädel gezogen, als sie seine Annäherungsversuche ablehnte.«
»Und das macht ihn wütend genug, dass er sie tot prügelt?«
Racine zuckte mit den Schultern. »Wir wissen beide, dass Leute Schlimmeres aus nichtigeren Gründen getan haben. Es ergibt jedenfalls mehr Sinn als ein fremder Täter. Wenn jemand einem anderen Menschen das Gesicht derart zertrümmert, ist das normalerweise persönlich.«
»Aber der Schädel in dem Gebäude bringt deine Theorie ins Wanken.«
»Nur ein bisschen. Es könnten zwei völlig verschiedene Morde sein. Du sagst doch die ganze Zeit, dass du nicht glaubst, der Brandstifter hätte Dobson umgebracht.«
»Weil es ihm egal war, ob die Leiche verbrannte oder nicht.«
»Aber das Opfer im Gebäude ist richtig gegrillt worden.«
»Dr. Ling hat gesagt, dass sie keine Knochen des restlichen Körpers gefunden hat.«
»Könnten die verbrannt sein?«
Maggie schüttelte den Kopf, weil sie keine Lust hatte, Dr. Lings ausführliche Erklärung zu wiederholen.
»Dann müssen wir wohl abwarten und Zach Lester fragen, was passiert ist, wenn die Virginia State Patrol ihn und Dobsons SUV gefunden hat.«
»Da ist noch etwas, das ich dir sagen sollte.« Maggie wartete, bis sie Racines Aufmerksamkeit hatte. »Neulich, als ich in die Kanalisation stieg, hatte ich das Gefühl, dass mir jemand gefolgt ist.«
»Was meinst du?«
»Ich hörte Schritte vor mir. Und auf einmal waren Schritte hinter mir. Derjenige hat die Glühbirnen in dem Tunnelgang zerschlagen, unmittelbar bevor du nach mir gerufen hast. Ich schätze, du hast ihn verjagt.«
»Und das erzählst du mir erst jetzt?«
»Das ist noch nicht alles. In derselben Nacht wurde ein Mann hinter meinem Grundstück gesehen, wie er mein Haus beobachtet hat.«
»Könnte irgendein Psycho gewesen sein, der Jeffery Coles Porträt gesehen hat.«
»Ich habe eine Menge Vorkehrungen getroffen, um meine Adresse geheim zu halten.«
»Heute stehen alle Grundbuchdaten online.«
»Aber mein Grundstück läuft nicht auf meinen Namen.«
Racine zog die Brauen hoch, fragte aber nichts. Als sie die Arme vorm Oberkörper verschränkte, rechnete Maggie schon mit einer Standpauke, die erstaunlicherweise ausblieb. Racine sah nicht einmal wütend aus, sondern besorgt. Sehr besorgt. Und das war beunruhigend.
56
Sam wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen. Dass Wes Harper bei den Lagerhausbränden gewesen war, besagte noch gar nichts. Schließlich war er Feuerwehrmann. Doch warum stand er dann in normaler Freizeitkleidung bei den Schaulustigen? War er nur zum Zugucken gekom men? Oder war er vorher schon da gewesen, wollte sein Werk bewundern und zusehen, wie die richtige Feuerwehr sich mit dem Löschen abmühte?
Die nächste Stunde suchte sie alles zusammen, was sie über Harper finden konnte. Vom Sender aus hatte sie Zugriff auf die Internet-Datenbanken. Es gab keine Polizeiakte über ihn, ausgenommen einen Fall beim Jugendgericht, der versiegelt war. Andererseits hatte er selbst letzte Nacht zugegeben, dass er als Kind
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