Erloschen
Hand.
»Wag es ja nicht«, sagte sie, strich über das Handy-Display und schob Jefferys Anruf ins »Ignorieren«-Feld. Bevor es erneut klingeln konnte, schaltete sie das Handy aus.
»Gehen wir«, sagte sie. Weder ihr Sohn noch ihre Mutter rührten sich. Sie waren genauso geschockt von dem, was sie eben getan hatte, wie sie selbst.
58
Patrick öffnete die Tür und erkannte die Frau sofort. Ihrem verblüfften Gesichtsausdruck nach zu urteilen, begriff auch sie gleich, wer er war.
»Sie hat schon gesagt, dass du wie dein Vater aussiehst.«
»Maggie hat das gesagt?«
»Nein, deine Mutter.«
»Also sind Sie Kathleen O’Dell?«
»Und du bist Patrick.«
»Maggie ist nicht zu Hause.« Er hielt die Tür auf und bat sie herein.
Sie zögerte für einen kurzen Moment und guckte ihn an, als sähe sie einen Geist.
»Ich weiß, dass sie nicht da ist. Zu Maggie wollte ich auch nicht.«
Nun wünschte Patrick, er hätte sie nicht hereingebeten. Maggie hatte eine Sicherheitskamera vor der Tür. Er hätte das hier vermeiden und einfach so tun können, als wäre niemand zu Hause.
»Sie haben Kontakt zu meiner Mutter?«
»Ab und zu.« Sie ging ins Wohnzimmer. »Jetzt guck nicht so verdutzt. Was denkst du denn, wie wir all die Jahre verhindert haben, dass ihr voneinander erfahrt?«
Ihm gefiel ihr sarkastischer Ton nicht. Sie mochte Maggie äußerlich ähneln, aber Maggie hatte nichts von ihrer schroffen Art. Bereits nach zwei Minuten erahnte Patrick, dass diese Frau auch sehr grausam sein konnte.
»Weshalb wollen Sie mich sprechen?«
»Du liebe Güte, deine Mutter hat nie erwähnt, dass du so schlechte Manieren hast.«
Patrick fühlte, wie sein Nacken heiß wurde.
»Willst du mir nichts zu trinken anbieten?«
Sie folgte ihm in die Küche, als würde sie sich im Haus auskennen. An der Kücheninsel blieb sie stehen und sah ihm zu, wie er zwei Gläser aus dem Schrank holte und den Kühlschrank öffnete. Bevor er den Krug mit Eistee herausnahm, sagte sie: »Du wirst ja wohl was Stärkeres dahaben als Eistee. Ich weiß, dass du am College als Barkeeper gearbeitet hast, demnach dürftest du alt genug für einen Drink sein.«
»Sie wissen genau, wie alt ich bin«, sagte Patrick, der keinen Hehl aus seiner Verärgerung machte.
Sie betrachtete ihn, und er bemerkte eine tiefe Traurigkeit in ihrem Blick. »Ja, ich weiß genau, wie alt du bist.«
Patricks Mutter hatte ein ganzes Leben – sein ganzes Leben – gebraucht, bis sie bereit war zuzugeben, dass er einer drei Monate währenden Affäre mit Thomas O’Dell entsprungen war. Früher hatte er von seinem Vater nicht mehr gewusst, als der Krimskrams hergab, den er in einem Nike-Schuhkarton verwahrte. Vor fünf Jahren dann hatte Maggie ihn an der Universität in New Haven besucht, und Patrick erfuhr von jenem Geheimnis, das Thomas O’Dells Frau und seine Geliebte über zwanzig Jahre gehütet hatten. Aber was konnte Kathleen O’Dell von ihm wollen?
Er nahm eine Weinflasche aus dem Kühlschrank, die Maggie und er gestern beim Abendessen angebrochen hatten. Nachdem er die Teegläser weggestellt und Weingläser hervorgeholt hatte, zog er den Korken heraus und schenkte ein. Zuerst überlegte er, lieber bei Tee zu bleiben, doch dann beschloss er, dass diese Unterhaltung vielleicht eher nach Wein verlangte.
Der Flascheninhalt reichte gerade noch für zwei Gläser. Eines schob er über die Kücheninsel zu Kathleen, die es sich bereits auf einem der Barhocker bequem gemacht hatte. Patrick blieb stehen, wobei er automatisch seine Barkeeper-Haltung einnahm. Ihm fiel ein, dass Maggie und Sam bei ihrer mitternächtlichen Konfrontation exakt dieselbe Position eingenommen hatten.
»Maggie fühlt sich dir blödsinnigerweise irgendwie verpflichtet«, sagte sie und trank einen großen Schluck.
»Im Gegensatz zu Ihnen und meiner Mom.«
»Warum in aller Welt sollte ich mich einer Schlampe verpflichtet fühlen, die mir meinen Mann wegnehmen wollte?«
Patrick bemühte sich, nicht zusammenzuzucken.
»Worüber wollen Sie mit mir reden, Mrs. O’Dell?«
»Ich will, dass du gehst. Pack deine Sachen und verschwinde aus Maggies Leben.«
»Maggie hat mir angeboten, hier zu wohnen. Ich habe sie nicht darum gebeten.«
»Aber natürlich hast du das Angebot prompt ange nommen.«
»Ich denke, das geht Sie nichts an.«
»Also, wie viel?«
»Wie bitte?«
»Wie viel kostet es mich, dass du gehst?«
»Ich denke, du bist diejenige, die gehen sollte, Mom«, sagte Maggie von der Tür aus.
Keiner
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