Erlosung
Ãberschrift Die Blutspur der schönen Ãrztin .
»Von Berlin Schöneberg bis nach Paris zieht sich die Blutspur, die Doktor Ella Bach seit ihrem ersten Mord vor einer Woche hinterlassen hat«, las Annika vor. »Im noblen Pariser Vorort Neuilly fand die französische Polizei die Leiche einer jungen Frau â siehe kleines Foto â, deren tödliche Verletzungen eindeutig die Handschrift der untergetauchten schönen Internistin zeigen.«
»Könntest du vielleicht noch etwas lauter lesen?!« Ella sah sich um, aber keiner der anderen Gäste â junge Araber und Türken mit Kurzhaarschnitt, Goldkettchen und Bodybuilderfigur in schwarz-weiÃen Trainingsanzügen â nahm von ihnen Notiz, und die Stimme eines traurigen Istanbuler Sängers drang gerade besonders leidenschaftlich aus dem Musikautomaten.
Sie nahm ihre Sonnenbrille ab und griff nach der Zeitung. Das kleine Foto, auf das der Artikel Bezug nahm, war nicht besonders scharf, aber sie erkannte die Frau trotzdem. Das Gesicht, lachend, hatte Ella gestern Nacht im Fernsehen gesehen. Die Bildunterschrift lautete: Das Opfer, Nicolette Régine Marceau (27), Geliebte des verschwundenen Bankiers Raymond Lazare .
Sie las den Rest des Artikels: Bis zur Unkenntlichkeit entstellt, wurde der Körper von Nicolette Marceau gestern Mittag von spielenden Kinder in einem Park gefunden. Die junge Frau war in den letzten Wochen bei verschiedenen Anlässen an der Seite des prominenten Bankiers Raymond Lazare, Vorstandssprecher der Banque National dâAlsace, gesehen worden. Zeugen wollen wenige Stunden vorher in der Nähe des Leichenfundorts eine Frau bemerkt haben, auf die die Beschreibung von Dr. Ella Bach passt. Wie neueste Ermittlungen ergeben haben, stand auch das erste Opfer der grausamen Mordserie, die 24jährige Studentin Madeleine Schneider, in Beziehung zu Raymond Lazare und seiner Familie.
Laut Informationen aus Polizeikreisen gehen die Behörden jetzt nicht mehr davon aus, dass es sich um eine Eifersuchtstat handelt, sondern möglicherweise um einen Rachefeldzug. Angeblich hat die wohlhabende Ãrztin bei gewagten Spekulationen am Finanzmarkt und mit einem von der Banque National dâAlsace aufgelegten Immobilienfonds ihr gesamtes Vermögen, darunter ein Haus in der Normandie, verloren. Für die Verluste könnte sie den ebenfalls vor einer Woche auf geheimnisvolle Weise verschwundenen Vorstandssprecher der Bank, Raymond Lazare, verantwortlich machen. In die Suche nach â «
»Wenn ich du wäre, würde ich Paris erst mal von der Liste meiner Reiseziele streichen«, sagte Annika.
30
Ella spürte, wie sich ihr der Magen umdrehte; die Zeitung verschwamm vor ihren Augen. Langsam sank sie auf die Holzbank vor dem Tisch.
»Du hast mir ja eine ganze Menge verschwiegen«, sagte Annika.
Ella schaute von der Zeitung auf und wartete, bis ihr Herz zu einer fast normalen Schlagfrequenz zurückfand. »Es sollte eine Ãberraschung sein«, sagte sie lakonisch. »So wie deine Krankheit für mich.«
Annika sah sie ruhig an, tiefseeblaue Trauer im Blick. »Ich wollte dich nicht überraschen. Ich wollte nur nicht, dass du es weiÃt.«
»Warum nicht?«, fragte Ella. »Weil richtige Freundinnen alles voreinander verschweigen?«
Annika griff nach ihrer Hand, nur kurz, dann lieà sie sie wieder los. »Bist du neuerdings so schwer von Kapee? Weil ich mich geschämt habe. Deswegen habe ich so lange nichts von mir hören lassen. Ich wollte, dass du mich so in Erinnerung behältst, wie ich war, nicht mich so erlebst, wie ich geworden bin. Zu was er mich gemacht hat.«
»Er? Wer?«
»Ein Mann, wer sonst.« Annika winkte Murat und deutete auf das Bild mit Bulgursalat über dem Tresen. »WeiÃt du noch, was wir uns einmal geschworen hatten, hoch und heilig? Keine falschen Männer mehr! Lieber eine ansteckende,
tödliche Krankheit! Sobald eine von uns nicht ganz sicher ist, holt sie die Diagnose der anderen ein, du meine und ich deine. Eine zweite Meinung. Als ich mich mit Patrick angesteckt habe, wusste ich sofort, was du sagen würdest, denn der Kerl war als Mann so falsch, dass er einem schon wieder richtig vorkommen konnte â wenn man von einem brennenden Todeswunsch erfüllt war. Deswegen habe ich ihn vor dir geheim gehalten. Abgesehen davon, dass ich schon nach einem Monat zu ihm nach London gezogen bin. Ausgerechnet ich,
Weitere Kostenlose Bücher