Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
Vom Netzwerk:
und vor vielen Jahrzehnten. Sie riss sich los und schaute auf ihre Armbanduhr: 01:07. Sie wusste nicht, wie viel Zeit ihr blieb, bis die Polizei da war; ob sie aus Berlin kam oder aus Potsdam. Sie lauschte. Sie dachte, sie hätte eine ferne Sirene gehört, aber es war nur das Käuzchen draußen im Geäst der Mooreiche. Jammernd strich der Wind um die Kapelle und raschelte in den Zweigen.
    Ohne noch mehr zu lesen, schob sie das Buch in eine Jiffy-Tasche, die sie auf Forells Schreibtisch fand und steckte den Memory Stick dazu. Sie verließ die Kapelle durch die Sakristei, wo sie das Küchentuch von dem Haken an der Wand nahm und Forells Gesicht damit bedeckte. Es tut mir leid, dass ich nicht schneller hier war , dachte sie. Dann verließ sie auch die Sakristei, um zur Straße hinunterzulaufen, bevor die Polizei eintraf.

    Als sie das Taxi kommen sah, verließ sie ihren Platz hinter einem Maulbeerbusch und kletterte die Böschung hinauf zur Straße. Das Taxi wendete an der Mündung des Feldwegs zum Friedhof, kehrte um und hielt neben ihr. »Man kann dich nicht eine Minute allein lassen«, sagte Annika durch das heruntergelassene Fenster im Fond, öffnete die Tür und rutschte auf die andere Seite der Rückbank, damit Ella einsteigen konnte. Oben auf dem Hügel flackerte die Kapelle im Widerschein der Blaulichtleisten mehrerer Streifenwagen, die in den letzten zwanzig Minuten mit heulenden Sirenen von der E 51 in den Feldweg eingebogen waren.
    Â»Zurück nach Berlin«, forderte Annika den Fahrer auf und griff nach Ellas Hand. »Eiskaltes Händchen.«
    Das Taxi fuhr los. Die Scheinwerfer einer Ambulanz auf der Gegenfahrbahn tauchten das Innere in helles Licht, und Ella bemerkte, dass der Fahrer sie im Rückspiegel musterte. Sie hatte das Kopftuch tief in die Stirn gezogen, der Schal bedeckte Mund und Kinn, nur auf die Sonnenbrille hatte sie verzichtet. Sie legte das Kuvert mit den Collected Stories von Edgar Allan Poe und Forells Bericht neben sich auf die Bank. »Ist es das?«, fragte Annika.
    Â»Ja.«
    Â»Wir sollten eine Kopie davon machen.«
    Â»Es ist ein Memory Stick, der sich angeblich nicht kopieren lässt.«
    Â»Alles lässt sich kopieren. Hast du Dany inzwischen erreicht?«
    Ella schüttelte den Kopf. Die Wärme in dem Taxi stieg ihr in den Kopf, und ließ sie ihre Erschöpfung spüren. Annika fragte: »Denkst du, ihm ist etwas zugestoßen?«
    Â»Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll.«
    Â»In welchem Hotel seid ihr untergekrochen?«
    Â» Gartenhotel , in Wedding.«
    Annika holte ihr Handy aus der schwarzen Laderjacke, die sie
jetzt trug, und wählte die Auskunft. »Ich hätte gern die Nummer des Gartenhotel in Wedding«, sagte sie. »Ja, verbinden Sie mich, bitte.« Sie wartete und warf Ella einen Seitenblick zu. » Gartenhotel? Tut mir leid, wenn ich Sie geweckt habe. Ich möchte einen Ihrer Gäste sprechen, einen Franzosen, Monsieur Daniel – «
    Â»Montheilet«, sagte Ella.
    Â»Montheilet, genau«, Annika hielt die Augen weiter auf Ella gerichtet, zwei glänzende Punkte, starr wie das Käuzchen in der Mooreiche, »Monsieur Daniel Montheilet. Könnten Sie mich zu seinem Zimmer durchstellen?« Sie lauschte. »Sind Sie sicher? Danke.« Sie unterbrach die Verbindung und ließ das Handy sinken. »Das war der Nachtportier. Er sagt, Monsieur Montheilet wurde bei seiner Rückkehr ins Hotel heute Abend von zwei Polizeibeamten erwartet und gleich mitgenommen. Ich schätze, das erklärt, warum er nicht an sein Handy geht.«
    Ellas Müdigkeit verschwand wie eine schwarze Decke, die ihr von den Lidern gerissen wurde. Vor ihrem inneren Auge stand Dany, wie sie ihn zuletzt im S-Bahnhof Jannowitzbrücke gesehen hatte: am Fenster eines Zuges, der davonfuhr – und da, er hob die Hand, um ihr zu winken, ohne ein Lächeln. Es war wie ein Abschied.
    Â»Woher weiß die Polizei von ihm?«, fragte Annika.
    Â»Von den Überwachungsbändern in der Kanzlei, vermute ich. Wir sind gefilmt worden, als wir sie betreten und wieder verlassen haben.« Und in der Zeit dazwischen hat er zwei Menschen getötet. »Wir wollten längst das Hotel wechseln.«
    Â»Du hast erzählt, er hätte dir am Anfang nicht die Wahrheit gesagt. Er hätte behauptet, er wäre der Bruder der toten Studentin, dabei hatte sie gar keinen Bruder.«
    Ella sagte nichts, weil

Weitere Kostenlose Bücher