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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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angebrachten Leisten unter der Gewölbedecke helle Lichträume schuf. Die Statue des heiligen Georg stand etwas abgesetzt von den anderen auf einem Basaltsteinpodest,
erstarrt im Kampf mit dem Drachen, aber so lebendig, als wäre die Pose nur ein Atemholen: Jede Sekunde konnte der Kampf weitergehen, der Drache wieder Feuer speien, sein schuppiger Schwanz noch wilder um sich schlagen, die Lanze tiefer in seinen weit aufgerissenen Rachen dringen.
    Â»Hallo?« Von Weitem drang die Stimme des Taxifahrers an Ellas Ohr, aber sie achtete nicht darauf. Wo ist das Versteck , überlegte sie; wo würden sie nicht suchen? Sie trat einen Schritt zurück, um Sankt Michael und den Drachen genauer zu betrachten – das stolze und gleichzeitig liebliche Gesicht des Erzengels, seine gesträubten Flügel, die muskulösen Beine und Arme. Den stürmischen Faltenwurf seiner Toga. Der Fuß, unter dem sich der Lindwurm wand. Die Krallen des Drachen, seine entsetzten Augen und die Lanze, die tief in seinen Rachen stieß.
    Hinter dem Podest öffnete sich ein dunkler Zwischenraum von einem halben Meter. Ella blickte in den Zwischenraum. Der Verputz der Wand wies keinerlei Loch oder Riss auf, und nichts klebte an der Rückseite des Podests oder lag auf dem Boden.
    Â»Hallo?« Jetzt hörte sie die Stimme, die hinter ihr erklang, lauter, näher. Durch die Tür zur Sakristei sah sie auf einmal den Taxifahrer, der reglos im flackernden Schein des Feuers stand, eine Hand vor den Mund gepresst. Seine Augen waren weit aufgerissen, während ihm ein Stöhnen entfuhr. Langsam hob er den Blick von der Leiche des Professors, entdeckte Ella, bemerkte das Blut an ihrer Kleidung.
    Â»Sie«, sagte er, »Sie – « Er starrte sie entsetzt an und schüttelte dabei langsam den Kopf. Dann machte er kehrt, verschwand hastig in dem Gang, der nach draußen führte.
    Ella breitete hilflos die Hände aus, hoffte, dass er verstand; dass er ihre Unschuld erkannte, weil er sich an den davonrasenden Wagen erinnerte. »Das war ich nicht«, sagte sie. »Er war
schon – ich habe ihn nicht umgebracht! Der Mörder saß in dem Audi!« Sie lief hinter hinter ihm her. »Warten Sie – halt! « Aber schon in der Sakristei hörte sie, wie die Tür des Mercedes zugezogen wurde, bevor der Motor ansprang. Die Scheinwerfer des Taxis entfernten sich schwankend den Feldweg hinunter. Das winselnde Geräusch des rückwärts fahrenden Wagens wurde schnell leiser.
    Sie ging zu Forells Telefon auf dem Altartisch und wählte Danys Nummer. Sofort erhielt sie die Verbindung, die aber nur zu seiner Mailbox führte. »Dany, ich bin’s«, sagte sie, selbst erstaunt über ihren ruhigen Tonfall, »Forell ist tot, jemand hat ihn erschossen. Ich bin hier draußen auf dem Land in seinem Haus, weil er dich nicht erreicht hat, und ich erreiche dich auch nicht, und allmählich finde ich das wirklich beunruhigend! Ich brauche dich! Wo bist du ?! Der Mörder hat etwas gesucht, aber nicht gefunden, und jetzt suche ich es. Also, wenn du das hier hörst, ruf mich bitte unter seiner Nummer an, damit ich dir sagen kann, wo du mich holen kannst.«
    Sie legte auf. Lief hin und her. Suchte. Was hatte Forell gesagt? Irgendwas von dem Buch und Poe?
    Aber hier waren Hunderte von Büchern, vielleicht Tausende, zerfetzt, zerfleddert, ein Meer von Büchern auf dem Steinboden, den Teppichen. Warum hatten sie es nicht gefunden? Oder war es zwar hier, in der Kapelle, aber nicht bei den Büchern, die sie sehen konnte? Wie der Brief, hatte er auch gesagt. Wie passte ein Brief da hinein? Sie überlegte so angestrengt, dass sich ein summender Schmerz in ihrem Kopf ausbreitete.
    Wieder das Telefon auf Forells Schreibtisch, der Hörer an dem gesunden, dem linken Ohr. Ella wählte, wartete, betete. Annika meldete sich nach dem dritten Klingeln. »Was gibt’s?«
    Â»Er ist auch tot«, sagte Ella.
    Â» Leichen pflastern ihren Weg «, kommentierte Annika. »Wo bist du gerade?«

    Â»Draußen«, antwortete Ella, »bei Forell zu Hause. Er hat noch gelebt, als ich kam, aber es war schon zu spät. Mindestens fünf Kugeln in Schultern, Brust und Bauch.«
    Â»Haben sie ihn auch gefoltert wie die anderen?«, fragte Annika.
    Â»Nein. Wie’s aussieht, war es nur einer. Er ist abgehauen. Ich glaube, der Umstand, dass ich mit einem Taxi gekommen bin, hat mir das Leben

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