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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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Schulter ging die Verkäuferin von Tisch zu Tisch und bot Kerzen und Medaillons von Sankt Michael an. Wieder strich sie sich die Haarsträhne aus der Wange, wie vorhin auf der Straße. Aber dann bewegte sie den Kopf, und Ella bemerkte den matt blinkenden Knopf in ihrer Ohrmuschel. Die Verkäuferin kam näher und näher, und alles, was jetzt noch zählte, waren ihre Augen. Sie blickten hellblau und kalt, und die rechte Hand der jungen Frau tauchte tief zwischen die Kerzen und Medaillons, griff nach irgendetwas, das auf dem Boden der Basttasche liegen musste, einer Pistole oder einer Betäubungsspritze. Du hast dich getäuscht, dachte Ella, niemand kann gegen sie gewinnen, niemand.

43
    Das Schönste in dem nicht allzu großen Hotelzimmer war das Himmelbett, von dessen Baldachin blasse Rosenknospen regneten, ohne wirklich zu fallen. Annika lag auf dem Rücken und schaute zu den schwebenden Rosen hoch und versuchte, nicht den Boden unter sich zu verlieren. Ihr Handy lag neben ihr auf dem Kopfkissen, und sie wartete darauf, dass es klingelte.
    Die Wände des Zimmers waren mit einer wasserfleckigen, hellblauen Tapete verkleidet, die an einigen Stellen Wellen geworfen hatte. Es gab ein kleines Fenster mit dunkelroten Leinenstores und einer gestärkten Gardine. Das von der Straße hereinfallende Licht der Laternen hatte einen beunruhigenden violetten Ton. Nacheinander fasste Annika jeden Gegenstand in dem nicht allzu großen Zimmer ins Auge, um sich an ihm festzuhalten.
    Unter dem Fenster stand eine mit zerschlissenem grünem Samt bezogene Couch, davor ein Beistelltisch mit einer staubigen Glasplatte und neben der Tür zum Bad ein Teakholzschrank. Das Bettgestell war aus grau angelaufenem Messing, und an der Wand gegenüber hing der zweitschönste Gegenstand, ein Poster von Mont Saint-Michel bei Nacht mit dem angestrahlten Kloster auf dem Felsenberg. Der einzige andere Schmuck bestand aus einer Porzellanstatue des heiligen Michael, der seinen nackten Fuß auf einen feuerspeienden Drachen gesetzt hatte.
    Annika betrachtete den Erzengel und den Drachen und danach
die nächtliche Klosteranlage, und sie konnte nicht aufhören, an Ella zu denken, die dort war und der sie nicht helfen konnte. Ihre beste Freundin, und sie konnte sie nicht beschützen. Es war ein Gefühl, als drücke ihr jemand einen kleinen Stein die Kehle hinunter. Nach einer Weile konnte sie es nicht mehr ertragen, nur so dazuliegen. Sie beugte sich aus dem Bett, um den Rucksack auf dem Boden zu sich heranzuziehen. Sie öffnete den Rucksack und holte die Ausgabe von Le Monde heraus, die sie gestern Nacht gekauft hatte. Darunter lag das zerfledderte Journal von Matthias Steinberg. Sie nahm es ebenfalls heraus, obwohl die Lektüre sie bedrückte. Bevor sie die Stelle fand, an der sie in Berlin zu lesen aufgehört hatte, summte endlich das Handy. Sie griff danach und meldete sich atemlos. »Ja, hallo?«
    Â»Dany Montheilet hier«, sagte seine Stimme dicht an ihrem Ohr. Im Hintergrund erklangen Verkehrsgeräusche, Motorenlärm, der anschwoll und wieder zurückwich. »Die Wohnung ist leer. Sie haben Mado weggeschafft.«
    Annika schwieg überrascht.
    Â»Ich versuche herauszufinden, was das bedeutet«, fuhr Dany fort. »Ich weiß nicht, wo sie jetzt ist und ob sie überhaupt noch lebt.«
    Â»Warum erzählst du mir das?«
    Â»Weil ich Ella nicht erreiche.« Der Motorenlärm wurde leiser, dann jäh wieder laut; Hupen ertönte. »Es kann sein, dass sie jetzt in noch größerer Gefahr schwebt. Ich dachte, du weißt vielleicht, wo sie ist.«
    Â»Auf Mont Saint-Michel«, sagte Annika. »Bei Lazares Neffen.«
    Â»Jetzt erst?« Dany klang erregt, anders als sie ihn kannte. »Und du, wo bist du?«, fragte er.
    Â»In einem Hotel in Pontorson.«
    Â»Warum bist du nicht bei ihr?«
    Â»Weil ich eine schlechte Freundin bin«, sagte Annika schroff.
»Wenn auch nicht ganz so schlecht wie du als Freund. Ist das Verkehrslärm? Rufst du vom Auto aus an?«
    Â»Ich mache mir Sorgen«, sagte er. »Die müssen misstrauisch geworden sein, sonst hätten sie Mado nicht in ein anderes Versteck gebracht. Oder sie haben einen neuen Plan.«
    Â»Was sagen denn die Leute, die dir sonst immer alles verraten? «
    Â»Von denen redet auf einmal keiner mehr mit mir.« Er schwieg abrupt, Bremsen quietschten, noch eine Hupe. » Verdammt, aus dem

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