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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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mit Karten, die sie plötzlich aus dem Ärmel ziehen. Und genau das sind die sogenannten Zufälle, die unwahrscheinlichen Ereignisse, mit denen wir dann konfrontiert werden und die Sie Zusammenwirken verschiedener Faktoren nennen – Manöver und Gegenmanöver in der gigantischen Schlacht.«
    Das Handy summte weiter, und noch immer schenkte er ihm keine Bedeutung. Geh dran , dachte Ella, das kann doch dein Onkel sein!
    Â»Wenn also Ihr Leben jäh aus der Bahn geworfen wird«, redete Frère Rémy einfach weiter, »wenn rings um Sie völlig unerwartet die Erde bebt oder Leidenschaften auf dramatischste Weise explodieren, dann können Sie sicher sein, dass Sie unversehens
in den Brennpunkt dieser Auseinandersetzung geraten sind, und genauso sicher können Sie sein, dass sie im selben Atemzug mit Zufällen nur so bombardiert werden.«
    Das Handy hörte auf zu summen. Jetzt erst warf der Mönch ihm einen Blick zu, als verhielte es sich ganz seinen Erwartungen gemäß; er nickte sogar kurz und senkte die Stimme. »Und wenn ein mächtiger Mann wie mein Onkel den Kampf mit ebenso mächtigen Männern wie den anderen Mitgliedern des Konsortiums aufnimmt, dann haben auch hier beide Seiten Gefolgsleute und Helfer – Anwälte, Spezialisten, Detektive –, auf deren eigene Zukunft Sieg oder Niederlage ihres Anführers selbstredend nicht ohne Auswirkungen bleiben. Sie tun daher alles, damit ihre Seite gewinnt, setzen jedes Mittel ein, das ihnen zur Verfügung steht, offen oder heimlich, aber immer möglichst unerwartet, erschreckend, Furcht einflößend – Zufall um Zufall wird herbeigeführt. Denn Zufälle erfüllen uns immer mit Angst – der Angst davor, dass wir umgeben sind von übernatürlichen Mächten, deren Taten und Fähigkeiten unsere kühnsten Fantasien übersteigen. Und genauso ist es ja auch, denn mein Onkel, das Konsortium, Sie, ich, wir alle sind es, um die es in der großen Schlacht zwischen Gott und dem Teufel geht. Unsere Seelen sind es.«
    Das Handy begann erneut zu summen, und diesmal reagierte er sofort. »Oui.« Eine andere Art von Röte trat auf seine Stirn, gefolgt von einem Lächeln, das aber gleich wieder erlosch.
    Er sah Ella an, dann nickte er. » Oui. « Er reichte ihr das Handy und sagte: »Er möchte mit Ihnen reden. Aber er bittet Sie, weder seinen noch Ihren Namen zu sagen, am besten überhaupt keinen, den irgendein Satellitencomputer erkennen und herausfiltern könnte.«
    Sie nahm das Handy und sagte: »Hallo?«
    Â»Hallo«, antwortete eine weiche Stimme, die weit weg und
nicht ganz menschlich klang, als würde sie von einem Sprachprogramm hergestellt oder gehörte einer freundlich gesinnten außerirdischen Intelligenz. »I know who you are but not what you want.« Es gab keine Hintergrundgeräusche, keine brummenden Turbinen oder Düsen, nur die schwerelose Stimme aus dem All.
    Â»Ich weiß auch, wer Sie sind«, sagte Ella, »weil ein Freund von Ihnen in Berlin mir alles über Sie erzählt hat. Und er hat mir einen Gegenstand übergeben, von dem es nur noch ein anderes Exemplar gibt, das, das Sie haben. Vor seinem Tod hat er mich gebeten, Sie darüber zu informieren, dass er seiner Aufgabe nicht mehr nachkommen kann, verstehen Sie? Der Aufgabe, die Sie ihm zugedacht haben für den Fall, dass Ihnen etwas zustößt.«
    Â»Ich habe von seinem Tod gehört.« Die Stimme klang völlig emotionslos. Er benutzt einen Sprachverzerrer, dachte Ella . »Hat er Ihnen gesagt, worum ich ihn gebeten hatte?«
    Â»Ja.«
    Â»Trauen Sie sich zu, diese Aufgabe zu übernehmen, falls der erwähnte Umstand eintritt?«
    Â»Nein.«
    Â»Warum nicht?«, fragte die emotionslose Stimme nach einer kurzen überraschten Pause noch einmal.
    Ella sagte: »Weil es unbedingt notwendig ist, dass Sie sich der Situation hier persönlich stellen. Hören Sie, es ist unbedingt notwendig, dass Sie Ihr Versteck verlassen und – «
    Â»Warum?«, fiel die Stimme ihr ins Wort, jetzt nicht mehr ganz so weich.
    Â»Weil die sonst Mado töten – Madeleine Schneider – «
    Â»Keine Namen, bitte!«
    Ella holte tief Luft. »Weil jemand, der Ihnen sehr viel bedeutet hat, sonst sterben muss.«
    Diesmal war die Pause länger, und es klang, als würde der Stimmverzerrer nachjustiert, damit das Ergebnis menschlicher wirkte.

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