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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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einer Kanzlei in der Avenue Foche. Ich habe Jura studiert, und schon während meines Praktikums bei Rochefort, Gladstone & Wentworth berechtigte ich, wie es hieß, zu den schönsten Hoffnungen. Aber ich weiß nicht, warum, etwas in mir wich vor dem zurück, was ich sah und tun musste. Eine internationale Großkanzlei wie
diese ist eine riesige Galeere, die von Sklaven über die sieben Weltmeere gerudert wird, von Schlacht zu Schlacht in dem niemals endenden Krieg um Macht und Reichtum. Ihre Kapitäne beherrschen das globale Spiel von Wirtschaft und Politik besser als alle anderen, weil sie den Markt längst unter sich aufgeteilt haben. Die größten unter ihnen verfügen über ein weltumspannendes Netz von Niederlassungen, in denen die Galeerensklaven, kleine Anwälte, wie ich einer war, für sie schuften.
    Rochefort, Gladstone & Wentworth beschäftigten zu meiner Zeit knapp tausendneunhundert sogenannte associates , davon fast vierhundert in Frankreich und über dreihundert in Deutschland. Ganz oben auf der Kommandobrücke stehen die Partner und Seniorpartner, die Besten der Besten, the best and the brightest, so sehen sie sich gern: brillante Strategen, raffinierte Strippenzieher, alle ausgestattet mit einem auf ihre Zwecke zugschnittenen Netzwerk an Kontakten in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, um das sie Könige, Präsidenten und Premierminister beneiden.
    Ein Griff zum Hörer, und sie kriegen jeden ans Telefon – und jeder ruft sie an. Minister, Vorstandsvorsitzende, Nobelpreisträger, alle folgen dem Rat und den Empfehlungen dieses kleinen erlesenen Kreises, der mit seinen Gutachten, Expertisen und Memoranden Milliarden Dollar, Euro, Yen und mittlerweile auch Yuan bewegt. Sie beeinflussen politische und wirtschaftliche Entwicklungen, die Entscheidungen des Elysée ebenso wie die des Kanzleramtes in Berlin, von Number ten Downing Street oder vom Weißen Haus. Sie sagen es nicht, aber sie halten sich für Götter. Jeder Einzelne hält sich für Gott. Gott Rochefort, Gott Gladstone, Gott Wentworth. Nein, das stimmt nicht – der Gott ihrer blasphemischen Religion ist das Geld, die Macht. Sie sind nur die Propheten, die Götzendiener. Obwohl sie zu den mächtigsten Männern der Welt gehören, kennen nur die Eingeweihten ihre Namen, und ihr Aussehen noch weniger.
Man nennt sie Männer, die keine Schatten werfen. Ihr Königreich kommt nicht erst, es ist schon da, es ist durch und durch von dieser Welt, das Paradies auf Erden, das sie ganz zu ihrem Vorteil gestalten – sie, nicht die Regierungen, nicht der Staat.
    Sie entwerfen Gesetzesvorlagen, die später in den Parlamenten zu Gesetzen werden, und auf der Rechtsgrundlage dieser Gesetze beraten sie danach wiederum ihre Mandanten, die großen Konzerne, die multinationalen Unternehmen. Sie zeigen ihnen, wie sie ihre Vorlagen zu ihrem Vorteil nutzen können und kassieren so auf beiden Seiten. In den großen internationalen Finanzkrisen der letzten Jahre, als erst die Banken und dann der Euro gerettet werden mussten, bei wem haben sich die europäischen Finanzminister da Rat geholt? Bei Kanzleien wie Rochefort. Von ihnen stammt das juristische Gerüst, die Startrampe für die staatliche Unterstützung all der maroden Finanzinstitute und ihrer kriminellen Vorstände mit Hunderten, nein, Tausenden Milliarden Dollar und Euro. Ich weiß das, weil mein Onkel daran mitgearbeitet hat, er und Professor Barrault in Paris. Und diese verantwortungslosen, längst zu Recht dem Untergang geweihten Geldtempel haben sich davor, währenddessen und danach von denselben Kanzleien beraten lassen.«
    Er hielt plötzlich inne und errötete. »Bitte, entschuldigen Sie, ich bin es nicht gewohnt zu reden. Wir Brüder und Schwestern von der Monastischen Gemeinde Jerusalems versuchen, unsere Tage in Demut und Schweigen zu verbringen. Ich neige offenbar nicht nur in Gedanken zum Eiferertum.«
    Â»Sie sprechen über eine Firma, in deren Auftrag Menschen umgebracht werden«, sagte Ella. »Rochefort, Gladstone & Wentworth machten auch Jagd auf mich, und Sie helfen mir gerade, zu verstehen, warum. Reden Sie weiter, bitte.«
    Das Licht der Wandlampe spiegelte sich auf Frère Rémys
kahl rasiertem Schädel. »Sie haben mich gefragt, warum ich mich für dieses Leben entschieden habe«, sagte er. »Das ist einer der Gründe: die atemberaubende Skrupellosigkeit,

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