Erlosung
laut lachten und auf den Bürgersteig spuckten. Ihr Haar war mit Gel zu korallenroten, kurzen Stacheln geformt. Sie rauchten Joints und rempelten sich gegenseitig an, aber sie waren eine gute Deckung, und das flatternde blonde Haar ging nicht verloren.
Der Franzose erreichte die Ecke zum Mehringdamm. Er blieb stehen, und als ein Taxi auftauchte, hob er die Hand und winkte. Einen Herzschlag lang fürchtete Ella, dass sie ihn verlieren könnte, aber das Taxi fuhr weiter. Der Franzose wandte sich nach links, und Ella folgte ihm ohne Innehalten. Sie hatte das Handy in die linke Tasche geschoben, in der rechten steckte das Messer. Sie tastete immer wieder nach der Schneide, als wollte sie prüfen, ob es auch scharf genug war. Sie wusste nicht, was sie mit dem Messer vorhatte, nicht einmal, warum sie auf den Gedanken gekommen war, es einzustecken.
Sie gingen jetzt die dicht befahrene StraÃe hinunter zur GneisenaustraÃe. Das blaue U-Bahn-Schild ragte über den Abgasnebel in den geröteten Nachthimmel. An den Ampeln stauten sich die Autos, und vor der 24-Stunden-Currybude und dem Dönerstand drängten sich die United Colours of Benetton,
Alt und Jung, aber alle hungrig. Ein Linienbus schob sich langsam die Steigung herauf und nebelte das ganze Trottoir mit seinem Dieselruà ein. Auf der anderen Seite der Kreuzung steckte ein Polizeiwagen mit blitzendem Blaulicht in der Blechlawine fest.
Der Franzose erreichte die FuÃgängerampel und blieb vor dem bunten Geflacker eines rund um die Uhr geöffneten Internetspielcasinos stehen. Eine junge Frau im Zigeunerlook sprach ihn an, und er schüttelte den Kopf. Er lieà das Mädchen stehen und lief die Stufen zur U-Bahn-Station hinunter. Er hat dich entdeckt, schoss es Ella durch den Kopf.
Sie hatte keine Zeit, einen anderen Eingang zu nehmen, auch nicht, eine Fahrkarte zu lösen. Sie stürzte dieselbe Treppe hinunter wie er, gerade als ein Zug der Linie U 6 Richtung Alt-Tegel einfuhr. Der Franzose stand am Bahnsteig, nur wenige Meter von ihr entfernt, aber er achtete auf die heranrollenden gelben Wagen, nicht auf sie. Als der Zug hielt, stieg er ein, und Ella schaffte es in denselben Waggon, bevor die Türen sich wieder schlossen.
Der Franzosen stand mit dem Gesicht zu ihr am anderen Ende des kurzen Wagens und sah zu dem Bildschirm an der Decke hinauf, über den Werbung und Zeitungsschlagzeilen liefen. Alle Plätze auf den bunt gepolsterten Bänken waren besetzt, deswegen blieb Ella ebenfalls stehen. Sie waren die beiden einzigen Fahrgäste, die standen. Sie holte ihr Handy heraus, klappte es auf und tat so, als tippe sie eine SMS, das Gesicht hinter den herabfallenden Haaren verborgen.
Mit einem Ruck fuhr der Zug an und beschleunigte so stark, dass sie beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Sie griff nach einer Haltestange. Die Dunkelheit in der Gleisröhre schlug über dem Waggon zusammen. Das Rattern der Räder wurde von den Tunnelwänden gegen die mit gezackten Graffiti verzierten Fenster geworfen. Ella sah von ihrem Handy auf, tat so,
als mustere sie die anderen Fahrgäste: drei junge Männer mit Sporttaschen und Rucksäcken zwischen den FüÃen, eine ältere Frau mit einem Regenmantel über dem SchoÃ, zwei kichernde Japanerinnen mit Coffee-to-go-Bechern in den Händen, ein Geistlicher, ein Mann mit einem Metallaktenkoffer, ein Mädchen mit Brille im weiÃen Tennisdress, roter Staub an den Turnschuhen, auf den Oberschenkeln ein mit Klebeband reparierter Schläger. Einige lasen Zeitung, ein paar starrten auf ihre Handys oder wechselten die Musik auf dem iPod, andere schauten auf den Boden oder aus den Fenstern, obwohl es dort nichts zu sehen gab.
Als der Zug in die nächste Station einfuhr, blickte Ella wie zufällig zu dem Franzosen am anderen Ende des Wagens hinüber. Er schaute nicht mehr zu dem Monitor an der Decke hoch, sondern sah ihr direkt in die Augen. Sie hielt seinem Blick einige Sekunden stand, dann schaute sie aus dem Fenster auf den heranfliegenden Bahnsteig.
Der Zug hielt. Die Japanerinnen stiegen kichernd aus, dafür kamen zwei U-Bahn-Polizisten mit einem angeleinten Schäferhund herein, und in letzter Sekunde drängte sich noch ein Skinhead mit einer Bierdose in der Hand durch die Türen. Etwas Bier spritzte aus der Dose auf den Boden, aber niemand kümmerte sich darum.
Der Zug fuhr an, und Ella sah wieder zu dem Franzosen hinüber. Er starrte sie
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