Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
Vom Netzwerk:
dem Wagen. In der Lobby waren sie bestimmt auch.« Sie merkte, wie schnell er begriff und wie geschickt er den Trubel auf dem Platz um den Dom nutzte. Wie er sie in Gruppen von Passanten schob, die er ein Stück weit als Deckung benutzte, dann hinter einer anderen Gruppe wieder verließ. Wie er in den Schutz der dunklen Stellen zwischen den Bänken und Tischen und Imbissständen schlüpfte und den Laternen und Scheinwerfern auswich, vom Dom zum Konzerthaus und weiter zur Französischen Kirche.
    Der Verkehr floss laut um den Gendarmenmarkt, der Lärm hallte von den aufwendig renovierten Fassaden der Häuserzeilen wider. Auch auf dem Platz spielten Straßenmusikanten Gitarre oder Violine, Kinder kreischten, junge Touristen überschrien sich auf Spanisch, Französisch oder Englisch, und ein kleiner Chor halbwüchsiger Japanerinnen sang Kirchenlieder.
    Ella versuchte in dem Getümmel ihre Verfolger auszumachen. Gesichter, die sie schon einmal gesehen hatte. In der U-Bahn. In der Klinik. Auf den Gängen des LKA. In der Lobby des Hotels. Sie sah sich um, warf schnelle Blicke hinter sich, über die Schultern, zwischen den Köpfen hindurch. Da, der grauhaarige Mann mit der geschulterten Ledertasche, der sich hochreckte, um über die Köpfe der Menge zu schauen – nein, das ist ein Inder. Da, der schlanke Mann in dem schwarzen Anzug, der so tat, als schaue er in die entgegengesetzte Richtung – nein, ein Priester. Da, der Blumenverkäufer – nein, ein
Tamile. Da der Geiger, der von Tisch zu Tisch wanderte und jetzt die Violine herumschwenkte und zu ihr herüberschaute – nein, eine Frau.
    Sie beobachtete die Fußgänger, die Radler und die Autos. Es war unmöglich. Sie konnte das nicht, hatte keine Übung. Du bist ein Amateur, und sie sind Profis. Dany hatte ihre Hand genommen, zog sie hinter sich her über den Platz, vorbei an einem erleuchteten Brunnen, unter eine Baumgruppe. »Ich kann niemanden entdecken«, sagte er.
    Â»Nein.« Ella schüttelte den Kopf. »Man entdeckt sie nicht. Erst wenn es zu spät ist.«
    Wenn der graue Audi auftaucht, haben sie einen schon eingekreist. Wer immer darin sitzt, sie rufen ihn erst, wenn sie sicher sind, dass sie dich haben.
    Dany zog sie weiter, schnell, aus dem Schatten unter den Bäumen zum Rand des Platzes, schnell, durch eine Lücke im Verkehr auf die andere Seite der Friedrichstraße, schnell, bis zur nächsten Ecke, in die erste Seitenstraße, um eine weitere Ecke, schnell, was ist das für ein Taxi, warum fährt es so langsam? , schnell, vorbei an einem schwach beleuchteten Eingang, verspiegelten Fenstern, nein, zurück, durch die Tür des schwach beleuchteten Eingangs in einen hohen, von Aquariumlicht erfüllten Raum.
    In dem Raum roch es nach asiatischer Küche, nach scharfen Gewürzen, Sojasoße und geschmolzenem Fett in heißen Woks. In den Ecken der schwarz lackierten Wände ragten weiße Neonleisten wie schlanke Obelisken zur verspiegelten Decke hinauf. Es gab zehn Essnischen mit aluminiumverkleideten Tischen und an jedem Tisch zwei Bänke mit roten Plastikpolstern. Halb heruntergelassene Bambusjalousien, ebenfalls schwarz lackiert, hingen vor den großen Fenstern. In der Mitte des Raums schienen lichtgrüne Farne langsam in der Dünung unsichtbarer Luftströmungen zu tanzen.

    Ella folgte Dany an den tanzenden Farnen vorbei zu einem Tisch im Hintergrund des Lokals, von dem aus sie den Eingang im Auge behalten konnte. Er ging weiter auf eine Tür neben dem lang gezogenen Tresen zu.
    Ãœber der Theke hingen fotografische Abbildungen diverser Gerichte in leuchtenden Primärfarben: knusprige Ente Kanton, Chicken Sezuan, Rind Süßsauer, glasierter Oktopus, Dim Sum, gelbe Nudeln, weißer Reis, grünes und rotes Gemüse. Neben dem Tresen am anderen Ende war ein großer Flatscreenfernseher in die Wand gedübelt, auf dessen Bildschirm sich ein Dutzend nur mit Ketten und Handschellen bekleidete Mädchen um einen farbigen Rapper mit Sonnenbrille wanden. Versteckte Lautsprecher schmetterten die Wortkaskaden des zuckenden Rappers in den Raum, begleitet von einem hart stampfenden E-Bass und den abgehackten Synkopen einer in bunte afrikanische Gewänder gehüllten Bläsergruppe. Ella verstand nur einzelne Worte wie bitch und money und kill .
    Sie konnte ihren Blick nicht von den leuchtenden Gerichten über dem Tresen lösen. Jetzt,

Weitere Kostenlose Bücher