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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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verschränkt. Ella hatte noch keinen von ihnen gesehen, weder auf dem Überwachungsfilm des Voyeurs noch in der Nacht vor seinem Haus.
    Â»Sie wissen nicht, warum ich das sage, oder?«, fragte Kleist.
    Â»Nein, weiß ich nicht«, antwortete sie. Sie fror in ihrer dünnen, von der Nässe durchweichten Jacke. Die Stille dröhnte in ihren Ohren. Sie konnte sehen, dass Kleists Gesicht von einem feinen Schweißfilm bedeckt war, der über der Oberlippe winzige Perlen bildete. Das Weiße seiner Augen war ungewöhnlich hell, fast wie bei einem Kind, die Pupillen blau und glänzend.
    Â»Mir gefällt Ihr Mut«, sagte Kleist. »Sie geben nicht klein
bei. Ich habe eine Schwäche für Tugenden, besonders für die sinnlosen. Sie leuchten im Dunkeln, wie Glühwürmchen vor einem schwarzen Loch im Weltraum. Sie werden genauso in das Nichts dahinter gesogen wie alles andere, aber sie leuchten immerhin dabei.«
    Er ging ein paar Schritte auf die Glaswand zu, sah hinaus auf die schwach erhellten Gänge und Büros dahinter. »Ich sage Ihnen das«, nahm er den Faden wieder auf, »weil ich nicht will, dass Ihnen etwas passiert. Aber es wird Ihnen etwas passieren, wenn Sie nicht genau tun, was ich Ihnen sage. Ich glaube nicht, dass Sie es gewöhnt sind, Anordnungen zu befolgen, zumindest hat es den Anschein. Damit es Ihnen leichter fällt, meinen Anordnungen zu folgen, müssen Sie wissen, dass ich Sie mag und auf Ihrer Seite bin. Verstehen Sie mich?«
    Â»Nein«, sagte Ella und warf einen Blick zu Dany und den beiden anderen Männern hinüber. »Ich verstehe Sie noch immer nicht.«
    Dany hatte die Hände in die Taschen seiner Lederjacke geschoben, und sein Kopf war ein wenig nach vorn geneigt, nach vorn und nach unten, wie sie es schon bei Männern gesehen hatte, die einen Kampf erwarteten und sich ganz darauf konzentrierten, wie sie angreifen oder einen Angriff abwehren wollten.
    Kleist drehte sich um mit einem bedauernden Schulterzucken. »Haben Sie den Schlüssel dabei?«, fragte er.
    Du musst auf Zeit spielen. Spiel auf Zeit.
    Â»Welchen Schlüssel?«
    Â»Den Safeschlüssel. Ich weiß, dass Sie ihn haben.«
    Â»Von welchem Safe?«
    Â»Geben Sie ihn mir einfach«, verlangte Kleist.
    Â»Ich habe keinen Safeschlüssel.«
    Â»Ich sehe, Sie verstehen mich wirklich nicht.« Er trat schnell auf Ella zu und versetzte ihr mit der flachen Hand einen scharfen
Schlag ins Gesicht. Der Schlag brannte auf Ellas Wange. Ihre Hand fuhr hoch, wie um zurückzuschlagen, aber Kleist war schneller, und hielt sie fest. »Tun Sie das nicht, Doktor Bach. Verschwenden Sie Ihre Kraft nicht nutzlos. Sie brauchen Sie noch zum Leuchten da draußen in der schwarzen Kälte.«
    Er stand so nah, dass sie sein Gesicht nicht ganz scharf sah, aber sein Atem strich über ihre Haut. Sie stemmte sich gegen seinen Griff. Er nickte einem der beiden Männer zu. Der Mann stand auf einmal neben ihr, griff in seine Windjacke und zog eine Schrotflinte mit Pistolengriff und abgesägten Läufen hervor, die im gelben Licht der Leuchtstoffröhre schwach glänzten. Die Mündungen eines aufgeschraubten Doppelschalldämpfers befanden sich in Höhe ihres Kinns.
    Kleists Zunge bewegte sich hinter den geschlossenen Lippen, suchte nach Nussresten zwischen den Zähnen. »Verstehen sie mich jetzt, Doktor Bach?«
    Â»Ja«, sagte sie, und es stimmte: Plötzlich verstand sie ihn, und im selben Moment verlor sie ihre Gelassenheit, und die Angst war wieder da. »Ich verstehe Sie.«
    Â»Sind Sie sicher?«, fragte Kleist. Seine Augen wurden schmal. Es fühlte sich an, als quetschten sie ihr das Herz zusammen. »Ich bin nicht sicher. Aber ich will Ihnen helfen, zu verstehen.« Er führte sie zum Konferenztisch und deutete auf das Kuvert. »Machen Sie es auf.«
    Sie nahm es, öffnete den nicht zugeklebten Verschluss und holte die Fotos heraus, die es enthielt. Es waren Schwarz-Weiß-Aufnahmen, nicht gestochen scharf, aber doch scharf genug, sodass man deutlich erkennen konnte, was sie zeigten.
    Ella erkannte sich selbst, ohne Kopftuch, nur mit der Sonnenbrille im Morgenlicht. Sie erkannte Randolph Freyermuth, der seinen Hut schwenkte und ihr etwas zuschrie. Sie erkannte alles wieder, Foto für Foto, aufgenommen aus der Perspektive
des Motorradschützen: Wie Freyermuth das erste Mal getroffen wurde, wie er blutüberströmt in

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