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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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Monate nicht weiter führen würden als bis zu dieser Nacht, seiner letzten, der Nacht, in der er sterben musste, weil er nicht einmal und ausnahmsweise früher Schluss gemacht hatte, auch wenn ihn zu Hause niemand mehr erwartete.
    Er führte sie an einer langen, verspiegelten Wand vorbei zu der letzten Tür, der einzigen, die nicht aus Glas bestand, sondern aus Holz. Der junge Mann im dreiteiligen Anzug klopfte, nur zur Sicherheit, aber natürlich bat sie niemand herein. Kleist sagte »Danke« und drückte die Klinke. »Bitte, rufen Sie niemanden an, bis Doktor Freyermuth hier ist.«
    Mit einem Kopfnicken dirigierte der Hauptkommissar Ella und Dany in das Büro, bevor er seinen Männern folgte.
    Â»Wenn er die DVD hat, bringt er uns beide um«, flüsterte Dany, als er dich neben Ella in den Raum geschoben wurde.
    Ich weiß , dachte Ella, aber noch immer fühlte sie sich wie in einen Schatten gehüllt, als könnte ihr nicht wirklich etwas passieren. Sie fragte sich, wann die Angst kommen würde.
    Kleist schloss die massive Tür, und es gab eine kurze Bewegung in der kühlen Luft. Im selben Moment herrschte eine fast vollkommene Stille. Das Klingeln des Telefons war verstummt,
auch den Staubsauger konnte man nicht mehr hören. Eine vom Boden bis zur Decke reichende Glaswand ermöglichte den Blick auf den Korridor und in die anderen Büros. Ella sah, wie der Mann in dem dreiteiligen Anzug in einem davon verschwand, ohne noch einmal zu ihnen hereinzuschauen.
    Der Regen schlug lautlos gegen das Fenster und rann in silbernen Fäden über die schwarze Scheibe. Dahinter erstreckte sich die nächtliche Stadt: verwischte Lichter, bunt an den Fassaden, langsam fließend in den Straßen, die Rosette des Café Kranzler schräg gegenüber und in der Ferne das erleuchtete Dach des Bahnhof Zoo, unter dem ein ICE herausglitt wie eine fahle Raupe.
    Ohne etwas zu sagen, ging Kleist zu dem großen Walnussschreibtisch vor dem Fenster. Außer einem Telefon mit Gegensprechanlage, einer Schreibunterlage aus dunkelblauem Leder und einer Schale mit einem langen silbernen Brieföffner stand oder lag nichts auf der Tischplatte, kein Bild, keine Ein- oder Ausgangskörbe, keine Zeitung. Kleist schaute unter die Tischplatte, schien aber nicht zu finden, was er suchte.
    Außer dem Schreibtisch gab es in dem Raum noch eine Schrankwand, eine Sitzecke mit einem runden Konferenztisch, einen Hometrainer aus schwarzem Metall, einen Kamin mit dem dazugehörigen Schmiedeeisenbesteck und eine kniehohe Konsole mit einem Flachbildfernseher samt DVD-Player. Auf dem Konferenztisch stand eine schlichte Glasschale mit Walnusskernen. Die Kerne sahen aus wie die gedörrten Gehirne von winzigen Menschen. In dem Kamin lag ein Stapel Kiefernholzscheite, in einer Ecke ragten schlanke Schilfwedel in einer rhombenförmigen Vase fast bis zur Decke. An einer der Wände hing ein großformatiges Gemälde, das Bild eines Mannes, der auf dem Kopf zu stehen schien.
    Kleist ging zu der Schrankwand, betrachtete die Türen und Schubladen und zog schließlich an einem der Stahlgriffe. Die
dazugehörige Tür ließ sich widerstandslos öffnen. Dahinter befanden sich Regale voller Leitz-Ordner, Hängemappen und CD-ROM-Ständer. Kleist öffnete die nächste Tür und die übernächste. Hinter der vierten fand er, was er gesucht zu haben schien, denn er nickte zufrieden.
    Der Safe.
    Jetzt schlenderte er zu dem Konferenztisch, griff in seinen Trenchcoat und holte ein bambusfarbenes Kuvert heraus, das er auf den Tisch legte, ohne es zu öffnen. »Doktor Freyermuth wird nicht kommen«, sagte er. »Aber das wissen Sie ja schon.«
    Kleist tippte mit dem Zeigefinger mehrmals auf das Kuvert, wie um die Bedeutung seines Inhalts zu unterstreichen. Er griff in die Schale mit den Nüssen, nahm eine davon und fing an, sie zu zerkauen. Er ging auf Ella zu, noch immer kauend, und der filzige Geruch seines nassen Trenchcoats war in der stehenden Luft des klimatisierten Büros noch stärker als vorher im Fahrstuhl. »Ich mag Sie, Doktor Bach«, sagte er.
    Ella sah ihn an, aber er sie nicht. Er sah zu den beiden Männern in den Windjacken hinüber, als erwartete er, dass sie ihn ermunterten, genauer in die Details seiner Zuneigung zu ihr zu gehen. Sie standen rechts und links von der Tür zum Korridor, ohne sich zu rühren, die Arme vor dem Bauch, die Finger

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