Ermittler in Weiß - Tote sagen aus
den Augen und erfuhr erst viel später, dass er schon vor dem Eintreffen unserer Befunde als klarer Selbstmord abgelegt und wegen der Urlaubszeit auch trotz der von uns geäußerten Zweifel noch nicht wieder aufgegriffen worden war. Da damals jeder Fall vor der endgültigen Ablage noch einmal zur Staatsanwaltschaft ging, stieß man dort nach einem halben Jahr auf unsere zusätzlichen Befunde und die daraus abgeleiteten Zweifel und veranlasste die Wiederaufnahme der Ermittlungen. Dabei zeigten sich dann auch einige Widersprüche in den Aussagen des Nachbarsohnes. Es war zum Beispiel merkwürdig, dass ausgerechnet er die Tote in dem sehr unzugänglichen Waldstück ziemlich schnell gefunden hatte. Auch die Faserspuren am Strangwerkzeug wurden nochmals genauer analysiert. Es stellte sich heraus, dass die auf dem Hof der Toten benutzten Schafstricke etwas anders aussahen und nicht die Stärke des Strangwerkzeuges aufwiesen. Dagegen fanden sich dem Tatwerkzeug vergleichbare Stricke in größerer Zahl auf dem Hof des Jungbauern, die zudem ausschließlich als Kälberstricke genutzt wurden. Daraufhin erfolgte unter Vorhaltung der neuen Befunde eine erneute Vernehmung des Nachbarnsohnes, der bei dieser Indizienlage nach anfänglichem Zögern gestand, das Mädchen getötet zu haben. Er war seit einiger Zeit mit ihr befreundet und hatte auch Verkehr mit ihr. Einige Tage vor der Tat habe sie ihm mitgeteilt, dass sie von ihm schwanger sei. Er war entsetzt, denn eine Heirat, wie sie es wünschte, kam für ihn überhaupt nicht in Frage. Sie war ja nur eine Magd und hatte keinerlei Besitz. Er hingegen war der Sohn und Erbe eines Großbauern. Das passte nach seiner Überzeugung auf keinen Fall zusammen. Auch sein Vater hatte ihm schon mehrfach gesagt: »Eine Magd kommt mir als Bäuerin nicht ins Haus.« Deshalb drängte er auch auf eine Abtreibung, die sie aber ablehnte. Das Mädchen war katholisch und eine solche Handlung kam bei ihr schon aus religiösen Gründen nicht in Betracht. Außerdem sagte sie ihm, dass sie sich sehr auf sein Kind freue. Trotz ihrer Jugend wolle sie es unbedingt großziehen. Alles Zureden seinerseits half nichts. Da entschloss er sich, sie zu töten, weil er einen Skandal und die Hänselei seiner Freunde wegen der Liebschaft mit einer einfachen Dienstmagd fürchtete. Am Nachmittag des Tages, als die Tat geschah, war er mit ihr verabredet. Er schlug ihr einen Spaziergang in den Wald vor und führte sie zum späteren Tatort. Dort spielte er ihr den Liebhaber vor und verleitete sie dazu, gemeinsam eine mitgebrachte Flasche Korn zu trinken. In der späteren Vernehmung gab er zu, selbst fast gar nichts von dem Schnaps getrunken zu haben, während das Mädchen aufgrund seines ständigen Zuredens den größten Teil der Flasche allein leerte. Sie sei dadurch auch sehr schnell betrunken gewesen und eingeschlafen. Er legte ihr den eigens zu diesem Zweck mitgenommenen Strick um den Hals und erdrosselte sie. Als er merkte, dass der Tod eingetreten war, hängte er sie mit dem gleichen Strick in der vorgefundenen Art und Weise an dem Baum auf. Durch die Identität von Drosselwerkzeug und Erhängungswerkzeug und wegen der Tatsache, dass sie zudem etwas atypisch um den Hals gelegt waren - für einen Selbstmord allerdings durchaus nicht ungewöhnlich - fanden sich bei der Untersuchung der Strangmarke zunächst auch keine gröberen Differenzen zwischen Strangmarke und Strick, sodass damals keine Zweifel an einem Selbstmord aufkamen. Im Anschluss an die Tat verschaffte sich der Täter durch den Besuch eines Gasthofes im Nachbardorf, wo er bis weit nach Mitternacht tanzte, ein Alibi. Auf dem Heimweg ging er nochmals am Tatort vorbei und überzeugte sich davon, dass sein Opfer auch wirklich tot war. Der Täter war zunächst geständig, bis er die Anklageschrift erhielt und nun merkte, dass die Anklage auf Mord lautete. Jetzt versuchte er, sein Geständnis zu widerrufen. Aber er verwickelte sich laufend in Widersprüche, gab jedoch in der Hauptverhandlung die Tat wieder zu. Der betroffene Vater bot dem Gericht 5000 Mark, wenn sein Sohn nur eine geringe Freiheitsstrafe erhalte und nach einigen Wochen wieder nach Hause käme. Als der Täter das Urteil - lebenslanges Zuchthaus - erfuhr, war er sehr bestürzt, äußerte dann aber lakonisch: »Dann müssen die Leute ihr Brot eben im Konsum kaufen.« Bei der Rekonstruktion der Tat, die während des Winters im tief verschneiten Wald stattfand, ereignete sich ein kleiner, komischer
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