Ermittler in Weiß - Tote sagen aus
ausschließlich Bier und Schnaps getrunken wurde. Die wenigen Frauen saßen überwiegend an der Theke und unterhielten sich mit den Männern dort. Bei den meisten erkannte man auf den ersten Blick den Zweck ihres Aufenthaltes gerade in dieser Kneipe. Obwohl die Prostitution in der DDR offiziell verboten war, hieß das natürlich nicht, dass es sie nicht gab: Sie wurde halt inoffiziell betrieben. Die Hafenkneipe war einer der Orte, wo die Kontakte gesucht und geknüpft wurden und wo die Frauen ihre Freier fanden. Das war zwar bekannt, wurde aber stillschweigend geduldet. An diesem Abend lief das Geschäft nicht so richtig, obwohl eine ganze Menge Betrieb im Lokal war. Martha M. hatte bereits den vierten Versuch gestartet, ohne dass einer der Männer anbeißen wollte. Sie musste aber dranbleiben, denn ohne Geld durfte sie dem »schönen Ede«, ihrem Freund und Zuhälter, diesmal nicht unter die Augen treten. Dieser hatte in den letzten Tagen mehrmals heftig getobt, sie beschimpft und behauptet, dass sie sich keine Mühe geben würde, um endlich anständig Geld nach Hause zu bringen. Heute musste sie so lange arbeiten, bis das Geld stimmen würde. Wieder hatte Martha einen jungen Mann herausgefischt, der als Freier infrage kam. Er schien nicht abgeneigt und lud sie erst einmal zu einem Glas Bier ein. Sie fanden auch einen Tisch, der gerade frei geworden war. Die Verhandlungen liefen ganz gut, da wurde plötzlich die Tür der Gaststätte aufgerissen, und der »schöne Ede« stürmte herein, blickte sich im Lokal um, kam auf ihren Tisch zu und redete unwirsch auf sie ein: »Ich habe dich schon überall gesucht. Wo bist du denn heute nur geblieben? Wir waren doch verabredet und wollten heute Abend gemeinsam etwas unternehmen.« Tatsächlich hatte sie ganz vergessen, dass sie den heutigen Abend gemeinsam verbringen wollten. Das Geschäft mit dem Freier war damit natürlich geplatzt. Der junge Mann trank schnell sein Bier aus, zahlte und verschwand. Martha und ihr Freund setzten sich noch auf ein Glas Bier an einen anderen Tisch zu ein paar Bekannten, dann verließen sie ebenfalls das Lokal und gingen in die Wohnung von Martha, in der sich der »schöne Ede« seit einiger Zeit einquartiert hatte. Obwohl Ede noch mehrere Mädchen »laufen hatte«, war Martha gegenwärtig seine Favoritin, bei der er wohnte und mit der er schlief, zumindest meistens. Martha verfügte in einem Altbau über eine Einraumwohnung mit einer kleinen Küche. Etwas primitiv war das Ganze schon, aber immerhin etwas Eigenes, unabdingbar für ihr Geschäft. In dem einen Zimmer, Wohn-, Schlaf- und »Arbeitszimmer« zugleich, stand außer einem Tisch mit ein paar Stühlen in der Ecke eine Couch, auf der die Freier bedient wurden und auch Martha und Ede schliefen. Bereits auf dem Heimweg überschüttete Ede Martha mit Vorwürfen, weil sie noch keinen Pfennig verdient hatte, als er in die Kneipe kam. Zu Hause angekommen, spitzte sich die übliche Auseinandersetzung wegen des Geldes zu. Diesmal begnügte sich Ede nicht mit Schimpfworten, sondern wurde auch tätlich, schlug auf Martha ein und warf mit Gegenständen nach ihr. Und Martha wehrte sich: Er bekam ihre Schuhe an den Kopf. Nach einiger Zeit verflog sein Zorn, und er beruhigte sich. Die beiden gingen gemeinsam ins Bett, wo es zweimal zum Geschlechtsverkehr kam. Dann, nach einer kleinen Erholungspause, flammte der Streit erneut auf, und Ede drohte, sie zu verlassen und auszuziehen, wenn sie in Zukunft nicht mehr Geld abliefern würde. Als sie mit einem wütenden »Na, dann geh doch« reagierte, machte er ernst, stand auf und ging in die Küche, um seine Sachen zu packen. Martha erhob sich ebenfalls und warf ihm einen Schuh hinterher. Er revanchierte sich mit einem Blumentopf, der sie auch traf und zu Bruch ging. In diesem Moment gelang es ihm, in die kleine Küche zu entkommen, wo er seine ganzen Habseligkeiten aufbewahrte, die im Wesentlichen aus dem Wasch-, Rasier- und Zahnputzzeug bestanden und in einem kleinen Pappköfferchen untergebracht waren. Als Martha erkannte, dass es ihrem Freund mit dem Ausziehen ernst war, bekam sie es doch mit der Angst zu tun. Sie war ihm trotz aller Streitereien hörig und wollte ihn auf gar keinen Fall verlieren. Als er darüber hinaus mit Bestimmtheit erklärte, noch am gleichen Abend zu einer anderen Frau zu ziehen, die ebenfalls für ihn als Prostituierte tätig war, sah sie rot. Martha hielt die Küchentür von außen zu und wollte ihn nicht herauslassen. Sie
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