Ermittlerpaar Moretti und Roland 02 - Suendenspiel
hasteten mit ihren Kinderwagen vorbei, und hinter den Fenstern standen die Alten und schoben die Gardinen zur Seite, um nichts zu verpassen, was auf der Straße vor sich ging. Andere, vor allem Männer, hingen mit einem Bier in der Hand auf ihren Fensterbänken, den Kopf tief zwischen die Schultern gezogen. Ihr Atem zeichnete sich wie ein Nebelschatten vor ihren Gesichtern ab.
Roland und Liv verschwanden in einem Hauseingang, aus dem ihnen ein strenger Geruch entgegenschlug. Sie klopften bei Willumsens Nachbarin. Eine schlampig angezogene Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm und einer Zigarette im Mundwinkel öffnete die Tür einen Spaltbreit. Sie mussten sich nicht vorstellen, die Frau wusste sofort, wer sie waren.
»Sie haben die Polizei wegen der Wohnung Ihres Nachbarn angerufen?«, fragte Liv.
»Es stinkt«, kam es von der Frau.
Das Kind sah geniert zu Liv, die es anlächelte und an ihre eigenen Mädchen dachte. Es war mittlerweile schon eine Weile her, dass sie so klein gewesen sind, dachte sie. Eigentlich war sie froh, dass jetzt beide größer waren und eine ganze Menge selbstständig erledigen konnten, doch manchmal vermisste sie auch die Zeit, als sie ganz klein und vollkommen von ihr abhängig gewesen waren. Plötzlich wünschte sie, sie hätte die Zeit damals ein wenig mehr genossen. Aber das gehörte in eine andere Zeit. Denn eins war sicher, mehr Kinder sollten es nicht werden.
Liv bekam Augenkontakt zu dem kleinen Mädchen, und das Kind drehte sich verschämt weg. Dennoch wandten sich seine Augen kurz darauf wieder Liv zu und sahen sie genau an.
»Dieser Gestank ist nicht auszuhalten. Sie riechen es doch auch, oder?«
Liv nickte, und Roland hielt sich einen Arm vor die Nase, als sie, nachdem sie sich bei der Frau für ihre Benachrichtigung bedankt hatten, vor Willumsens Tür standen. Die braune Fußmatte war so verdreckt , dass sie die Füße gar nicht darauf stellen mochten . Das Namensschild am Briefschlitz war leer.
Liv suchte in ihrer Tasche herum und holte einen Schraubenzieher heraus, mit dem sie die Tür zu öffnen versuchte.
»Er ist ja nicht da«, sagte sie.
»Was zum Teufel hat der da drinnen?«, stöhnte Roland, den Arm immer noch vor das Gesicht gepresst, als Liv die Tür zur Wohnung aufschob. Sie selbst holte aus ihrer Jackentasche ein Tuch, das sie sich um Mund und Nase band.
»Mensch, ist das gemütlich«, sagte Liv und trat zwischen Stapel von Zeitungen, die über den ganzen Boden verteilt waren, ein. Einzelne Artikel waren ausgeschnitten und an die Wände geheftet. Roland öffnete alle Fenster im Wohnzimmer und in der Küche und versuchte, für Durchzug zu sorgen, aber der Geruch verschwand nicht. Sie sahen sich an und wussten genau, nach was das stank. Verwesung. Diesen Geruch brauchte man als Ermittler nur einmal erlebt zu haben, um ihn nie wieder zu vergessen.
Liv machte auf dem Absatz kehrt und ging ins Schlafzimmer. Sie öffnete ein weiteres Fenster und hob für eine Sekunde das Tuch an, um die frische, von draußen hereinkommende Luft einzuatmen. Auf dem Boden und auf dem Bett stapelten sich weitere Zeitungen. Liv hockte sich neben einen der Stapel. Ein Artikel war eingekreist. Er handelte wie all die anderen, die er an den Wänden aufgehängt hatte, von einem Kriminalfall. Es ging um Vergewaltigungsversuche, Morde, sogar Einbrüche und Fahrraddiebstähle. Anscheinend hob er alles auf , was mit der Polizei zu tun hatte. Die Artikel an der Wand handelten von der thailändischen Frau aus dem Jahr 1993.
»Mobile Einheit beendet Ermittlungen im Fall der zerstückelten Frau«, titelte einer von ihnen. »Mörder noch immer auf freiem Fuß«, lautete die Überschrift eines anderen. »Mann der Thailänderin gelang die Flucht«, hieß es bei einem dritten. Liv studierte die Artikel auf dem Boden. Sammelte er wirklich alles? Vielleicht glaubte er sogar, persönlich hinter den gesamten Kriminalfällen in der Gegend zu stecken? Was für ein armer Mann, dachte Liv und fand Roland in der Küche.
»Alle Artikel an der Wohnzimmerwand beschäftigen sich mit dem Verschwinden seiner Frau«, sagte er halb erstickt hinter seinem Ärmel. Ein Radiowecker auf der Fensterbank blinkte 0:00. Das Gleiche tat die Uhr auf der Mikrowelle.
Liv entdeckte den Kühlschrank und öffnete ihn. Eine vergammelte Presswurst und saure Milch. Sie machte sich auf die Suche nach dem Gefrierschrank, fand aber nur ein kleines, leeres Gefrierfach. Als sie sich umdrehte, sah sie eine Tür. Sie war verschlossen,
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