Ermittlerpaar Moretti und Roland 02 - Suendenspiel
leid und öffnete demonstrativ das Fenster.
Liv fragte ihn erneut, ob er eine Erklärung dafür habe, warum die Polizei in Sarajevo gesagt hatte, dass Esad und Safet Nuhanovic anscheinend bereits 1996 verstorben seien.
»Esad hat mir die Geschichte erzählt.«
»Er ist nicht Ihr richtiger Vater, oder?«, fragte Liv und rauchte weiter. »Deshalb nennen Sie ihn Esad.«
Safet erklärte, dass er bis zum Alter von zehn Jahren geglaubt habe, Esad sei sein richtiger Vater. In gewisser Weise hatte er selbst darum gebeten, die Wahrheit zu erfahren.
»Esad hat daraufhin gesagt, dass er nicht mein biologischer Vater ist, sich aber mehr als mein Vater fühlte, als das irgendein biologischer Vater tun könnte. Und dass unsere Namen und Identitäten geliehen sind.«
»Geliehen?«, fragte Roland. Gestohlen war wohl eher das richtige Wort.
»Ich hätte es wissen müssen. Schließlich bin ich kein Albino«, seufzte Safet.
Dann erklärte er, dass Esad Nuhanovic die Identität seines Kollegen angenommen hatte. Dieser Mann war von den Serben ermordet worden. Sie kannten sich aus dem Krankenhaus, in dem sie zusammen gearbeitet hatten. Sie waren beide Ärzte, und er hatte einen Sohn im Alter von ungefähr drei Jahren. Safet rauchte und hielt seine Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger, bevor er erklärte, dass Esad die Leiche seines Kollegen auf dem Heimweg vom Krankenhaus gefunden habe. Er und sein Sohn hätten ermordet vor ihrem Haus gelegen, unweit des Hauses, in dem er und seine Mutter gewohnt hatten.
»Als er mich geholt hat, sind wir an den Toten vorbeigegangen, und er hat aus ihrem Haus ihre Pässe und Papiere gestohlen, bevor er zusammen mit mir in den Wald geflohen ist.«
Liv fragte, warum Esad seine Identität hatte wechseln wollen, während Roland daran dachte, dass es schwer für Safet gewesen sein musste, die vergangenen sieben Jahre mit diesem Geheimnis zu leben. Die Teenagerjahre waren auch so schon eine große Herausforderung an die eigene Identität.
»Weil er Serbe war«, antwortete Safet.
Liv und Roland sahen sich an. Es erklärte einiges, wenn er serbisch-orthodox gewesen war, unter anderem seinen Decknamen Paulus, dachte Roland, während Safet fortfuhr.
»Ich war Moslem und meine Mutter auch. Vor dem Krieg hat das keine Rolle gespielt, aber plötzlich war es von großer Bedeutung«, sagte Safet und erklärte, dass Esad gewusst habe, dass die Serben ihn zwingen würden, Safet im Stich zu lassen und sich an der Säuberung der Stadt von den Moslems zu beteiligen, wenn sie erst die Stadt eingenommen hatten. Wäre er als Serbe geflohen, hätten ihn die Moslems verfolgt und ermordet. Der Arzt und sein Sohn waren beide Moslems. Nahm er deren Identität an, hatten er und Safet vielleicht eine Chance.
»Sie haben gesagt, er hat Sie dort abgeholt, wo Sie mit Ihrer Mutter gewohnt haben. Habt ihr nicht zusammengewohnt?«, fragte Roland.
»Nein, das haben wir nicht. Ich habe nur mit meiner Mutter zusammengewohnt«, sagte Safet.
»Warum?«, fragte Liv.
Weil Esad nicht sein Vater war, dachte Roland, während Safet erklärte, dass Esad und seine Mutter ein Paar gewesen seien, bevor sie mit Safet schwanger geworden war.
»Und danach nicht mehr?«, fragte Liv.
»Nein.«
Nicht wirklich verwunderlich, wenn sie von einem anderen Mann schwanger geworden ist, dachte Roland und fragte, wer dann sein richtiger Vater sei.
Safet nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und inhalierte wie ein Erwachsener. Mit einem langen Seufzer blies er den Rauch aus.
»Sie ist vergewaltigt worden.«
»Von wem?«, fragte Roland.
»Von einer Gruppe Serben. Das war ganz zu Anfang des Krieges. Sie hat Esad danach nicht mehr ertragen.«
Selbstverständlich nicht, dachte Roland. Er war einer von ihnen. Was vor dem Krieg keinerlei Bedeutung gehabt hatte, schaffte nun böses Blut und trennte die Menschen, dachte Roland.
»Weil Esad auch Serbe war?«, fragte Liv.
Safet nickte und fügte hinzu, dass seine Mutter und Esad sechs Jahre zusammen gewesen waren, sie waren verlobt gewesen und die Hochzeit war geplant, aber als der Krieg ausbrach, konnten sie nicht mehr zusammen sein.
»Sie sagen, er ist gekommen und hat Sie geholt. Warum?«, fragte Roland.
Safet schaute aus dem Fenster und erzählte, dass schon im Juli 1995 Gerüchte in der Stadt kursierten, dass die Serben sämtliche Moslems in Srebrenica umbringen wollten. Etwas außerhalb der Stadt, dort, wo er zusammen mit seiner Mutter wohnte, hatte das Morden bereits begonnen.
»Esad
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