Ernst Bienzle 14 - Bienzle und die lange Wut
Mascha: »Wen soll ich anrufen?«
Mascha nahm ihm das Telefon aus der Hand. »Selber groß!« Sie ging vor die Tür.
Einer der Männer rief Harry zu: »Das Handy siehst du nie wieder!«
Gächter hatte sich gerade ein wenig hingelegt, als der Anruf kam. Er wartete, bis die Kollegen alles vorbereitet hatten, und hob dann ab.
Mascha legte gleich los. »Haben Sie jetzt gesehen? So leicht kriegt ihr mich nicht. Scheiße, ich mein’s ernst. Wenn Sie den Patrick lebend wieder sehen wollen, muß Joe morgen freikommen.«
»Ja, das hab ich verstanden. Ich will’s versuchen«, sagte Gächter. »Aber ich will ein Lebenszeichen von Patrick.«
»Der schläft«, tönte Maschas Stimme aus dem Telefon. »Aber es geht ihm gut. Joe hat diesen Lohmann nicht umgebracht. Er sitzt unschuldig. Holen Sie ihn da raus, dann kriegen Sie auch Ihren Neffen wieder. Verstanden?«
»Ja«, sagte Gächter. »Vielleicht weiß ich einen Weg. Ich werd alles tun... Ich krieg das hin, verlassen Sie sich drauf!«
Auf der anderen Seite wurde aufgelegt. Tränen schossen Günter Gächter in die Augen. Ein leises, trockenes Schluchzen schüttelte ihn.
Kerstin trat zu ihm und legte ihre Hände auf seine Schultern. »Hast du irgendeine Idee?«
Gächter gab sich einen Ruck, stand auf und wandte sich zu Kerstin um: »Ja, die habe ich!«
Mascha kehrte in die Kneipe zurück, warf mit einem »Hepp!« Harry sein Telefon zu, ging zum Tresen, stürzte die Apfelsaftschorle hinunter und sagte: »Ich war ja eingeladen, oder?«
Und schon verließ sie wieder das Lokal. Harry und die anderen starrten ihr einigermaßen perplex hinterher.
Als sie in den Keller der Neubauruine zurückkehrte, kroch sie zu Patrick in den geräumigen Schlafsack, zog den Jungen an sich und sagte: »Jetzt schlafen wir einfach ein paar Stunden und denken an gar nichts.«
18
Es war schon kurz nach zehn Uhr, als Albert Horrenried wieder nach Hause kam. Inge hatte immer wieder versucht, Winni zu erreichen, aber er war nicht ans Telefon gegangen. Die übrige Zeit hatte sie genutzt, um lange heiß und kalt zu duschen und sich anzuziehen. Und dann hatte sie damit begonnen, die wenigen Dinge, die ihr gehörten, in ein paar Koffer zu packen.
Albert sah sie nicht an. Er wollte gleich weiter in sein Arbeitszimmer.
Inge hielt ihn auf. »Wo ist dein Gewehr?«
»Keine Angst, deinen Lover hab ich nicht erschossen!«
Inge machte noch einen letzten Versuch. »Albert...«, sagte sie ernst und bittend.
Aber er ließ sie nicht weitersprechen. »Vergiß es«, sagte er dumpf, »vergiß überhaupt alles. Und glaub ja net, daß du bei mir noch was erben kannst! Noch heut Nacht schreib ich ein neues Testament!«
Damit verschwand er in seinem Arbeitszimmer.
Dort setzte er sich an den großen Schreibtisch. An dem hatte schon sein Vater gearbeitet.
Der alte Kurt Horrenried war ein Mann gewesen, der niemanden neben sich hatte gelten lassen. Seine zwei Söhne waren beide nicht so geraten, wie er sich das gewünscht hatte. Martin, der ältere, hatte nur die Musik im Kopf. Wahrscheinlich das mütterliche Erbteil. Kurt hatte seine Frau geliebt. Ihre Vorliebe für die Musik, die Literatur und das Theater hatte er ihr großzügig nachgesehen und er reagierte besonders barsch, wenn er von jemandem darauf hingewiesen wurde, daß dies keineswegs Dinge waren, die man jemandem nachsehen mußte. Weitere Diskussionen lehnte er ab. Aber als sein großer Sohn sich mit der gleichen Inbrunst auf die Musik warf wie seine Frau, war Schluß mit seiner Nachsicht. Dabei wäre Martin vielleicht ein brauchbarer Mensch geworden, er liebte, wie der Vater, das Holz, aber größer war seine Liebe zur Musik und das hatte ihm der Alte nie verziehen.
Albert, der jüngere, war aufbrausend und nur schwer zu bändigen. Mindestens zweimal in der Woche hatte der Vater mit dem Erziehungsheim gedroht, was dem jüngeren Sohn nur ein abschätziges Lachen entlockte. Nach und nach wuchs Albert zu einem handfesten Kerl heran, raufte gern, konnte aber nicht verlieren. Und er schlug alles über den gleichen Leisten: »Was bringt mir das? Was nutzt mir das? Was hab ich davon?« Er liebte niemanden – nicht einmal seine Mutter und schon gar nicht seinen älteren Bruder, den er schon als Junge immer nur den »Spinner« nannte.
Albert Horrenried sah zu dem Bild des Vaters hinauf, das in einem ovalen Rahmen über dem alten englischen Schreibtisch hing. Kurt hatte das schöne Stück aus der Konkursmasse eines kleinen Möbelfabrikanten an sich
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