Ernst Bienzle 14 - Bienzle und die lange Wut
beschloß, dorthin zu fahren. Wenigstens in dieser Nacht würde sie mit dem Jungen dort bleiben können.
Als Hannelore und Bienzle in ihr spartanisches Zimmer kamen, sagte Bienzle: »Also, ich bin rechtschaffen müde. Dabei war das doch eigentlich gar keine Wanderung, sondern nur ein besserer Spaziergang.«
Hannelore horchte noch dem ersten Satz nach. »›Rechtschaffen müde‹, das paßt zu euch Schwaben. Erst recht schaffen und dann hat man das Recht, auch müde zu sein.«
»Ja, ja«, sagte Bienzle gut gelaunt, »jetzt hast mich wieder amal erwischt. Und ich hab noch nicht mal den Gächter angerufen, ob was Wichtiges war.« »Untersteh dich!«, sagte Hannelore. »Laß ja das Telefon in Ruhe.«
»Das Schlimmste ist diese furchtbare Warterei«, sagte um die gleiche Zeit Gächter. Er war nach dem mißglückten Versuch, Mascha zu stellen und Patrick zu befreien, niedergeschlagen nach Hause gefahren. Kerstin hatte gemeint, er müsse versuchen, seine Schwester zu erreichen. Aber Günter Gächter gab sich selber noch eine Nacht Zeit.
Kerstin schüttelte den Kopf darüber. »Wenn etwas passiert, wird sie es dir nie verzeihen, daß du sie nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt angerufen hast!«
Gächter ging nicht darauf ein. »Der Bienzle hat sich auch nicht gemeldet und ich hab keine Ahnung, wo ich ihn suchen soll.«
»Was hat denn der Bienzle damit zu tun?«
»Nichts, aber mir wäre verdammt viel wohler, wenn er jetzt in meiner Nähe wäre.«
»Wir haben Glück«, sagte Mascha und stieg aus dem Auto. »Die Baustelle ist gar nicht in Betrieb, so wie’s aussieht. Eine Neubauruine.«
»Eine was?« Patrick hatte das Wort noch nie gehört. Er war müde aus dem Auto gekrochen und hatte sich umgesehen. Die hohen Häuser mit ihren schwarzen Fensterhöhlen machten ihm Angst. »Müssen wir hier bleiben?«, fragte er.
»Nicht lange. Los, hilf mir mal.« Sie hob die rot-weiß gestrichenen Latten, mit denen die Einfahrt zur bereits fertig betonierten Tiefgarage abgesperrt war, aus ihren Verankerungen. Patrick half ihr. Dann fuhren sie in die unterirdische Halle. Das Fahrzeug stellte Mascha hinter einem Anhänger ab, den die Bauarbeiter wohl vergessen hatten.
Auch die Kellerräume waren schon weitgehend fertiggestellt und mit Lattentüren versehen. »Hier machen wir uns ein Lager«, sagte Mascha.
»Ich will nicht hier bleiben.«
»Du hast keine andere Wahl«, sagte Mascha. »Ich muß dich sogar fesseln, damit ich in Ruhe telefonieren gehen kann.«
»Und wenn ich verspreche, daß ich nicht weglaufe?«
»Würdest du das an meiner Stelle glauben?« »Ich weiß ja gar nicht, um was es geht«, sagte der Junge altklug.
»Paß auf, ich erklär’s dir: Der Joe, das ist mein Freund, den haben sie verhaftet und ins Gefängnis gesperrt. Aber er hat gar nichts getan.«
»Ich hab aber auch gar nichts getan«, sagte Patrick dazwischen.
»Na gut und du bist trotzdem gefangen. Dein Onkel will dich wieder freikriegen. Genau so, wie ich den Joe freikriegen will.«
Sie entrollte einen Schlafsack, den sie aus dem Kofferraum des Autos genommen hatte. Jürgen hatte immer alles in seinem Wagen, um jederzeit »on the road« gehen zu können, wie er das nannte.
»Ich muß dir die Hände und die Füße zusammenbinden. Und dann stecken wir dich am besten in den Schlafsack, damit du’s warm hast. Ich bin garantiert nicht länger als eine Stunde fort.«
Zwanzig Minuten später betrat Mascha eine kleine Kneipe. Sie ging direkt zum Tresen und bestellte ein Apfelsaftschorle. Es waren fast nur Männer in dem Lokal, und alle schauten sie an. Mascha war ein schönes Mädchen. Sie hatte eine schlanke Figur und sie machte keinen Hehl daraus. Ihre knappen Jeans und das T-Shirt, unter dem sie nichts trug als ihre Haut, verbargen nur wenig. Die leisen Pfiffe und Zungenschnalzer der Männer nahm sie kaum wahr.
Ein junger Mann kam an den Tresen. »Apfelsaftschorle – kannste doch auch zu Hause trinken... Ich lad dich zu was Besserem ein! Übrigens, ich bin der Harry.«
Mascha sah ihn an. »Sag mal, Harry, hast du ein Handy?«
»Na klar, was denkst denn du?«
»Gibst du’s mir mal?«
Aus dem hinteren Teil des Lokals rief ein anderer junger Mann: »Und nachher ruft sie in Tokio an und du hast es auf deiner Telefonrechnung!«
Ein dritter stand auf, kam an den Tresen und reichte Mascha ein Telefon. »Da, du kannst meins haben!«
»Laß mal die Lady in Ruh, ich mach das schon«, sagte Harry. Er zog sein Handy heraus und sagte zu
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