Ernst Bienzle 14 - Bienzle und die lange Wut
komm auch, aber nicht jetzt gleich. Der schlägt mich doch tot. Geh ins Gästezimmer, versuch zu schlafen. Ich komm ganz früh morgens, sobald er die Wohnung verlassen hat. Wo ist er denn jetzt...?«
»Ich weiß nicht«, Inge Kranzmeier horchte nach den Geräuschen, die aus der Werkhalle zu ihr heraufdrangen, »er tobt unten in der Halle rum. Ich sag dir, der Mann ist nicht mehr zurechnungsfähig.«
Albert Horrenried bot sich ein chaotisches Bild, als er das Tor zu der lang gezogenen Halle aufschob. In der Gattersäge steckte einer der teuren Eichenstämme. Am Fuß war eine Eisenklammer hineingehämmert worden, die alle Sägeblätter zum Bersten gebracht hatte. Der elektrische Schaltkasten war umgestürzt. In der Räppelmaschine kullerten Kiesel, die von den Schneidemessern hochgewirbelt wurden.
Plötzlich verstummten die Maschinen. Das Licht erlosch. Albert Horrenried blieb stehen. Er horchte. Leise Schritte waren zu hören.
Albert schaltete das Licht wieder ein. »Zeig dich, du Sau!«, schrie er.
Das Licht ging wieder aus. Dann hörte man das Kreischen der Bandsäge, deren Sägeblatt ebenfalls durch ein Metallteil zum Bersten gebracht wurde. Und wieder kehrte Ruhe ein.
Albert Horrenried jagte durch seine Werkhalle. Alle diese Maschinen hatte er angeschafft. Auf jede einzelne war er stolz gewesen. Es hatte gedauert, bis er halbwegs konkurrenzfähig gewesen war, und dann noch mal eine Zeit, bis er den anderen überlegen war. Und jetzt, da er es endlich geschafft hatte, zerstörte einer alles!
Er griff nach einer Latte. Wie von Sinnen raste er die Eisentreppe an der Gattersäge hoch, sprang auf den Steg hinüber, der zum Transportband für die fertigen Bretter führte, ließ sich wieder hinunterfallen auf den Betonboden, federte ab und nahm Schwung auf, um mit einer Flanke über die Schälmaschine zu springen. Er mußte den Vandalen kriegen, der hier alles vernichten wollte.
»Dich bring ich um!«, brüllte er in die Halle hinein. »Zeig dich, du Feigling! Komm raus!«
Und plötzlich stand er ihm gegenüber. Der andere hatte eine Eisenstange in der Hand.
»Du?« Mit ihm hatte Albert Horrenried nicht gerechnet.
Im gleichen Augenblick traf ihn die Eisenstange. Er sackte in die Knie und verlor das Bewußtsein.
Punkt sieben Uhr am nächsten Morgen schob einer von Albert Horrenrieds Arbeitern das Tor zur Halle auf und blieb entsetzt stehen. »Ja, sag mal, was ist denn da passiert?«
Ein anderer rief: »Das gibt’s doch nicht!«
»Los, einer muß den Chef holen«, schrie ein dritter aufgeregt.
Aber statt Horrenried meldete sich nur Inge Kranzmeier über die Gegensprechanlage. »Was ist denn?«
»Der Chef muß sofort kommen«, rief der Arbeiter, der geklingelt hatte.
»Ja, ist der denn nicht unten? Hier ist er nicht!«
»Ja, dann kommen halt Sie«, sagte der Arbeiter.
Die Männer machten sich daran, halbwegs wieder Ordnung zu schaffen. Manche Maschinen konnte man reparieren, andere würden erst mal eine ganze Zeit nicht zu gebrauchen sein und wieder andere mußten bestimmt durch neue ersetzt werden.
Inge erschien fünf Minuten später in der Halle. Sie sah müde und übernächtigt aus. Ihre Haare waren noch nicht gekämmt und sie hatte auch noch kein Make-up aufgetragen. Ratlos starrte sie auf das Chaos.
Zwei Männer hatten damit begonnen, mit einem Schlauch die Sägespäne abzusaugen, die noch am Vortag zu einem gut zwei Meter hohen Haufen im hinteren Teil der Halle zusammengekehrt worden waren. Ein starkes Gebläse transportierte das Sägemehl direkt auf die Ladefläche eines Lastwagens, der draußen vor der Halle stand.
Der Haufen verringerte sich rasch, bis plötzlich einer der Arbeiter rief: »Halt, stopp! Stopp, hab ich gesagt! Da liegt einer... Um Gottes willen, das ist ja der Chef! Stopp! Abschalten...!«
Endlich verstummte das Gebläse.
Nacheinander verließen die Arbeiter ihre Maschinen, andere kamen neugierig von draußen herein.
Inge rief: »Was ist denn passiert?«
Die Arbeiter wichen zurück. Der Blick auf den Sägemehlberg wurde frei. Nur der Kopf Albert Horrenrieds schaute heraus. Seine offenen Augen waren nicht zu sehen, weil sie mit Sägespänen verklebt waren, ebenso sein Mund und die Nasenlöcher. An der Schläfe klebte Blut.
Inge starrte auf den toten Mann hinab. Plötzlich wandte sie sich ab und ging, ohne jemanden anzusehen, aber auch ohne erkennbare Erregung durch das große Tor hinaus und verschwand draußen im hellen Morgenlicht.
19
Gächter ging ungern in die
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