Ernst Bienzle 14 - Bienzle und die lange Wut
Horrenried. Die ist genau der Typ«, sagte Schildknecht.
Bienzle schaute zu ihm auf. »Sie sollten sich langsam etwas zurückhalten mit ihren vorschnellen Urteilen. Was ist mit dem Arbeiter, den er entlassen hat?«
Schildknecht rief, stolz, daß er den Namen sofort parat hatte: »Peter Mahlbrandt!«
»Ja, genau«, sagte Bienzle, »der Mahlbrandt ist noch lange nicht aus dem Schneider. Und auch der Martin Horrenried könnte ja zurückgekommen sein oder er hat einfach zwei Stunden gewartet und seinen Bruder dann erstickt.« »Die Jäger können’s auch gewesen sein – die hätten ja am meisten profitiert, wenn es das Testament tatsächlich gegeben hätte«, schlug Schildknecht vor.
Und diesmal nickte Bienzle sogar beifällig.
»Bisher haben wir aber noch kein Testament gefunden«, sagte Bechtle. »Bloß a Häufle Asche im Mülleimer unter der Spüle.«
»Die Kranzmeier könnte das Testament verbrannt haben, nachdem sie den Horrenried umgebracht hatte«, sagte Schildknecht.
»Und was hätt die davon?«, wollte Bechtle wissen.
»Gute Frage«, meinte Bienzle. »Hilft uns die Asche irgendwie weiter?«
Bechtle holte den Bericht der Spurensicherung aus dem Eingangskorb und schob ihn über den Tisch, damit Bienzle ihn selber lesen konnte.
Aber der spielte nicht mit. »Sagen Sie’s mir!«
Bechtle wurde noch nervöser, schaute erneut auf die Uhr. Er stand auf und zog schon mal seine Ziviljacke an. »Die von der Spurensicherung haben herausgefunden, daß es sich um normales Briefpapier gehandelt hat, aber was draufstand, ist nicht mehr zu rekonstruieren.«
»Erzählen Sie mir mal a bißle was über diesen Oberjäger.«
»Sie meinen den Hajo Schmied? Also, ich muß jetzt wirklich langsam los. Heut Abend haben wir Stiftungsfest vom Gesangverein. Ich bin im Vorstand und sing Erster Tenor!«
Bienzle blieb hartnäckig. »Er ist ein enger Freund des Verstorbenen gewesen, net wahr?«
»Ja, ich glaub schon.«
Bienzle wandte sich an Schildknecht: »Kümmern Sie sich um den Jägerverein. Ich will alles über die Kerle wissen. Der Kollege Bechtle hilft Ihnen dabei.« Damit ging er hinaus.
Schildknecht schaute Bechtle an. Der seinerseits schaute den Kollegen an, der am hinteren Schreibtisch saß. »Der Kollege Hoffmann kann Ihnen da weiterhelfen«, sagte er und schickte sich ebenfalls an, den Raum zu verlassen.
Hoffmann sah zum ersten Mal auf. Er war ein Mensch, den man nicht bemerkte, solange er nicht auf sich aufmerksam machte, und genau das versuchte er stets zu vermeiden.
»Ich hab’s ja kommen sehen«, sagte er jetzt resignierend.
38
Martin Horrenried saß in seinem Wohnzimmer am Klavier und spielte eine einfache Beethovensonate. In diesem Raum deutete alles auf die musikalische Vergangenheit des Hausherrn hin. Auf dem Klavier stand eine Beethovenbüste, daneben eine Trompete. An den Wänden hingen Bilder von Konzerten, gerahmte handschriftliche Partituren, Fotos berühmter Interpreten, zum Teil mit persönlicher Widmung.
Winfried kam herein. Er hatte sich ausgehfein gemacht, um zum Stiftungsfest des Gesangvereins zu gehen. Martin hatte seinen Sohn immer wieder gebeten, nicht zu den Veranstaltungen des Liederkranzes zu gehen. Er hatte selbst ein paar Jahre lang den Gesangverein dirigiert und ihn damals zu einer Leistungsfähigkeit geführt, die der Chor später niemals auch nur annähernd wieder erreichte. Seinem Bruder Albert war es dann aber gelungen, den Vorstand mit Geld und bösen Worten dazu zu überreden, den Dirigenten auszutauschen.
»Mußt du dorthin?«, fragte er nun schmallippig.
»Ja sicher. Ich treff da ein paar Leut, die für mich wichtig sind.«
»Für dich und deine Inge ändert sich ja jetzt einiges«, sagte Martin, ohne sein Klavierspiel zu unterbrechen.
»Ja, das könnt sein«, gab der Sohn gleichgültig zurück.
»Nach einer gewissen Anstandsfrist natürlich...«
»Also, Vater, jetzt hör mal zu...«
»Aber ich versteh dich doch, Bub. Niemand versteht dich besser als ich. Ich hab doch immer gesagt, wenn man sich richtig verliebt, zählt auf einmal alles andere gar nichts mehr.«
»Vielleicht siehst du das auch ein bissel übertrieben«, gab sein Junior zurück.
Martin Horrenried lächelte. »In der Liebe kann man gar nicht übertreiben!«
Winfried war diese Diskussion sichtlich unangenehm. Er strebte der Tür zu, wurde aber von seinem Vater noch mal aufgehalten.
»Ich geh übrigens morgen zum Notar«, sagte Martin.
Sein Sohn antwortete betont beiläufig: »Ja, da hätt ich dich
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