Ernst Bienzle 14 - Bienzle und die lange Wut
auch nichts!«
»Aber dein Lover erbt oder dem sein Vater, ischt doch g’hopft wie g’sprunge. Und da gehst doch du auch nicht leer aus.«
»Was willst du eigentlich?«
»Meine Jagdkameraden und ich wollen nur, daß kein Unrecht geschieht, verstehst du? Also überleg’s dir gut. Hier in Heimerbach legst du dich besser mit keinem von uns an. Grad, weil du nicht dazugehörst!«
Er drehte sich um und verließ die Halle.
Das Stiftungsfest des Gesangvereins Liederkranz fand im großen Saal des Gasthofs zum Weißen Roß statt. Die Reden waren bereits gehalten. Und die schwierigen Chorsätze, die die Zuhörer als Leistungsbeweis der Sänger vorneweg über sich ergehen lassen mußten, waren verklungen. Jetzt durfte gegessen, geredet und getanzt werden. Bedienungen schleppten die Platten mit Schwäbischem Sauerbraten, für den die Küche des Hauses berühmt war, herein. In ausladenden Schüsseln dampften Spätzle. Soße kam in Extragefäßen, ebenso der gemischte Kartoffel-Gurken-Salat, der von den Schwaben genau so in die Bratensoße getunkt wurde wie die Spätzle.
Auf der Bühne baute eine Musikkapelle ihre Notenständer auf. Es waren sieben Mann, die sonst im örtlichen Blasorchester spielten, für solche Zwecke aber eine Extrakapelle gegründet hatten, die bei Festen zum Tanz aufspielte. Ein guter Schlagzeuger und ein herausragender Klarinettist waren die beiden wichtigsten Musiker in diesem Septett. Der Klarinettist leitete auch die Band, der er den Namen Heimerbach Seven gegeben hatte.
Traditionsgemäß spielten die sieben zuerst den Ferbelliner Marsch, warum, wußte niemand – vielleicht hätte es der Martin Horrenried gewußt, aber mit dem redete niemand und deshalb konnte ihn auch keiner fragen. Da war der Junge doch ein ganz anderer. Immer unter den Leuten und um keinen flotten Spruch verlegen. Er sah gut aus, und als Motorradmechaniker hatte er einen erstklassigen Ruf. Jetzt stand er mitten unter Gleichaltrigen und unterhielt sie mit Witzen, die er systematisch sammelte, um sie bei solchen Gelegenheiten jederzeit abrufen zu können. Nur die Älteren unter den Festbesuchern wunderten sich über sein Benehmen, wo er doch einen Todesfall in der Familie hatte. Zwar wußte man natürlich, wie zerstritten die Horrenrieds untereinander waren, aber es gehörte sich trotzdem nicht.
Winfried, den auch hier alle Winni nannten, forderte ein hübsches junges Mädchen zum Tanzen auf.
Schildknecht war im Weißen Roß abgestiegen und hatte auch Bienzle dazu überredet. Als sie am Abend dort ankamen, bereute Bienzle den Entschluß sofort. So ein Fest, das wußte er, konnte sich bis tief in die Nacht hinziehen, und garantiert gab es im ganzen Haus kein Zimmer, in dem man von dem Feierlärm nicht gestört wurde.
Er stand an der Rezeption und verlangte Aufklärung, welcher Raum am weitesten von dem tobenden Stiftungsfest entfernt sei. Da betrat Inge Kranzmeier die Eingangshalle. Sie kam dicht an ihm vorbei und blieb einen Augenblick unentschlossen stehen.
»Suchen Sie mich?«, fragte Bienzle.
»Nein«, antwortete sie schnippisch. »Woher hätt ich denn wissen sollen, daß Sie hier sind?«
Ohne länger auf ihn zu achten, ging sie weiter, aber nun war Bienzles Interesse schon geweckt, er gab Schildknecht ein Zeichen mitzukommen und folgte Inge Kranzmeier. Der Wirt sagte gerade: »Zimmer 411, das wäre für Sie dann wohl das geeignetste.« Aber Bienzle hörte das schon nicht mehr. Prompt beschloß der Mann hinter dem Tresen, Bienzle ein Zimmer im ersten Stock zu verpassen. Genau über dem Festsaal, noch genauer: exakt über dem Podium, auf dem die Heimerbach Seven spielten.
Auf dem Weg zum Saal berichtete Schildknecht eifrig, der Jagdverein sei 1924 gegründet worden. Hans Joachim Schmied sei seit sieben Jahren Vorsitzender. Albert Horrenried habe während dieser Zeit immer dessen Stellvertreter gemacht, sei aber der eigentliche Chef gewesen. »Im Grund ist der Verein mehr als eine. sagen wir mal Jagdgemeinschaft, der ist fast wie eine Loge. Die Jäger beherrschen hier die ganze Gegend. Ich habe eine Liste aller Mitglieder.«
»Sehr gut«, sagte Bienzle. »Scheints kann man Sie doch brauchen.«
Inge stand am Rand des Saals und hatte gerade Winfried entdeckt, der sich intensiv mit seiner Tanzpartnerin unterhielt und Inge dabei den Rücken zukehrte. Ein paar der Festteilnehmer hatten die Lebensgefährtin des verstorbenen Sägewerksbesitzers entdeckt und tuschelten aufgeregt. Margret Schmied, Hajos Ehefrau, beugte
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