Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erntedank

Erntedank

Titel: Erntedank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Michael; Klüpfel Kobr
Vom Netzwerk:
Kollegen galt der Person des Staatsanwaltes, Dr. Möbius. Die Staatsanwaltschaft war formal die Behörde, die die Ermittlungen leitete. Sehr zu Kluftingers Freude wurde dies in Kempten, wenn auch von Staatsanwalt zu Staatsanwalt unterschiedlich, meist sehr unbürokratisch gehandhabt. In den meisten Fällen hieß das: Die Polizei hatte weitgehend freie Hand, die Staatsanwälte mischten sich nicht ein.
    So war das auch im Fall von Dieter Möbius.
    Das seltsame Gebaren der Kollegen bei der Nennung seines Namens hatte einen anderen Grund: Es kursierte das Gerücht, dass Möbius homosexuell sei. Es gab zwar keinerlei Beweise für diese Behauptung, aber Möbius entsprach scheinbar in vielen Punkten dem Schwulen-Klischee. Ob es seine zurückgegelten Haare, seine immer solariumgebräunte, glatte Haut, seine noblen Zweireiher, stets mit dem zur Krawatte passenden Einstecktuch, seine Vorliebe für edle Düfte oder seine etwas in den Sopran gehende Stimme war, wurde nicht weiter hinterfragt. Das Gerücht war irgendwann einmal in die Welt gesetzt worden und die Kemptener Polizeidirektion erwies sich in solchen Fällen stets als große Waschweiber-Ansammlung.
    Kluftinger wusste von diesem Gerücht, doch er versuchte, es möglichst zu verdrängen. Die Vorstellung, einem homosexuellen Mann gegenüber zu sitzen, bereitete ihm einiges Unbehagen, auch wenn er nicht genau erklären konnte, weshalb. »Latente Homophobie« hatte sein Sohn das einmal genannt. Und Kluftinger hatte nicht widersprochen.
    Sein Verdrängungsmechanismus, was Dr. Möbius und seine mutmaßliche sexuelle Orientierung anlangte, funktionierte natürlich nur, wenn niemand die Nennung des Namens mit anzüglichen Bemerkungen begleitete, wie es seine Kollegen gerne taten. Kluftinger ignorierte sie und wählte die Nummer des Gerichts.
    »Ja, Kluftinger. Dr. Möbius bitte … danke … Dr. Möbius? Kluftinger hier, ich wollte … ja, freut mich auch, Sie mal wieder zu sprechen.«
    Jetzt gab es für die Kollegen kein Halten mehr. Während Strobl Kluftinger Handküsse zuwarf, fing Hefele an, sich selbst zart über die Wange zu streicheln.
    »Deppen«, zischte Kluftinger.
    »Was? Nein, nein, ich hab mich gerade nur verschluckt.« Er lief knallrot an.
    »Ich müsste mit ihnen dringend etwas besprechen. Zudem bräuchte ich Einsicht in ein paar Akten … Gleich jetzt? … Gern … Bis dann«, beendete er rasch das Gespräch und knallte den Hörer auf die Gabel.
    »Bis dann, Schätzle«, säuselte Strobl, noch bevor Kluftinger irgendetwas sagen konnte.
    »Man könnt nicht meinen, dass wir hier bei der Polizei sind, wenn man euch zwei Rindviecher anschaut«, brummte Kluftinger, dem die ganze Sache sichtlich peinlich war.
    »Jetzt los, es gibt genug zu tun, hier braucht keiner rumsitzen, oder?«
    Mit diesen Worten komplimentierte er seine Kollegen aus seinem Büro. Nach ein paar Sekunden öffnete sich die Türe noch einmal und Strobl streckte seinen Kopf herein: »Schönen Gruß an den Herrn Doktor, gell?«, sagte er und hauchte einen Kuss in die Luft.
    ***
    Kluftinger war bereits auf dem Weg zu seinem Passat, als er sich im Hof, in dem nur einige Zivilfahrzeuge der Polizei und ein paar sichergestellte Autos und Unfallwagen standen, umsah, kehrt machte und zum Büro von Erwin Meggle ging. Dazu musste er zuerst die Autowerkstatt, die sich hinter der Polizeidirektion befand, samt der Waschhalle durchqueren. Ein Mädchen von vielleicht sechzehn Jahren wusch dort gerade einen Streifenwagen. Sie war ganz in einen blauen Overall gehüllt, die aschblonden Haare trug sie zum Pferdeschwanz. Er hatte sie bei der Begrüßung der neuen Mitarbeiter Anfang September bereits gesehen. Mit ihr erfüllte die Polizei als öffentlicher Arbeitgeber gleich mehrere »Quoten«: Sie wurde – als Mädchen in einem Männerberuf – zur KFZ-Mechanikerin ausgebildet. Dass sie in diesem Beruf noch ausbildeten, wo doch die Schließung der Werkstätten der Polizei erwogen wurde, sogar ein junges Mädchen, Tochter von Spätaussiedlern aus Kasachstan noch dazu: Lodenbacher war regelrecht ins Schwärmen geraten ob des sozialen Engagements seiner Dienststelle.
    Kluftinger lächelte ihr zu und klopfte an Meggles Tür. Das »Hä?«, das ihm von der anderen Seite entgegenschallte, deutete Kluftinger als Aufforderung, einzutreten. Meggle trug wie immer einen grünen Overall auf dem in großen, weißen Buchstaben das Wort »Polizei« prangte. Sein Arbeitsplatz erfüllte ihn mit großem Stolz. Auch nach

Weitere Kostenlose Bücher