Erntedank
Jogginghose im Wohnzimmer der Langhammers erscheinen würde. Mit seinem »Daheimrumgwand«, wie die »Homewear« bei ihm hieß.
Kurze Zeit später betraten Erika Kluftinger und ihr Mann das Wohnzimmer. Kluftinger trug eine dunkelbraune Stoffhose zu einem beigen Hemd mit Hirschhornknöpfen – seine Sporthose war nicht unter den Sachen, die seine Frau zu Hause eingepackt hatte. Natürlich hatte sie ganz bewusst darauf verzichtet, sie mitzunehmen, denn es gab aus ihrer Sicht nur zwei Möglichkeiten, wie sich ihr Mann verhalten würde: Entweder, er würde als Gast in einem fremden Haus gar keinen Gedanken daran verschwenden, in einem derart schlampigen Aufzug herumzulaufen; in diesem Fall würde er die Hose überhaupt nicht vermissen. Oder er würde tatsächlich auf die Schnapsidee kommen und ihre Gastgeber, vor allem aber sie selbst, mit dem Tragen dieser Hose düpieren – in diesem Fall war es um so wichtiger, dass die Hose zu Hause geblieben war.
Auch der gemütliche, unverkrampfte Abend, der kurzzeitig als realistische Möglichkeit in den Gedankenspielen des Kommissars aufgetaucht war, war rasch in weite Ferne gerückt. Die Langhammers hatten ihre Hausgäste zwar zunächst in ihr Zimmer entlassen, allerdings nur kurz, denn es stünden einige Häppchen bereit und man habe sich gedacht, ein gemütlicher Spieleabend wäre doch genau der richtige Ausklang eines stressigen Arbeitstages.
Spieleabend. Ja priml, dachte der Kommissar. Den letzten Spieleabend hatten Kluftingers gemacht, als ihr Sohn Markus einmal in den Semesterferien da gewesen war, und erst viel später hatte sich herausgestellt, dass jeder mit dieser familiären Gemeinschaftsaktion dem anderen nur einen Gefallen hatte tun wollen. Tatsächlich war es vielmehr so, dass derartige, eigentlich zur Harmoniesteigerung gedachten Aktivitäten meist in einem Eklat geendet hatten. Wie damals, beim gemeinsamen Minigolfen, bei dem Markus als Kind irgendwann immer den Schläger auf die Bahn gepfeffert hatte, weil sein Vater ihn lautstark ermahnt hatte, seinen Ärger über verpatzte Schläge nicht so laut zu äußern, dass es die anderen anwesenden Familien hören konnten. Erst später hatte ihm sein Sohn erklärt, dass es Kluftingers Aggression über seine eigene Insuffizienz als Erzieher in direkter Komparation mit den anderen, scheinbar glücklichen Minigolf-Familien gewesen war, die er da lautstark an seinem Sohn abreagierte.
Kluftinger hatte dieser Analyse nicht widersprochen, was vor allem daran lag, dass er erst ein paar Wörter hatte nachschlagen müssen, ehe er sie verstanden hatte. Gegen diese These seines Sohnes sprachen aber die zahlreichen Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Partien im trauten Familienkreis, die regelmäßig damit endeten, dass sich irgendjemand doch ganz furchtbar ärgerte und wahlweise Markus oder er selbst mit dem Arm die Figuren vom Spielbrett fegte. Für Kluftinger verhieß die eher negativ aufgeladene Vokabel »Spieleabend« also nichts Gutes.
Sein mühevoll etabliertes Höflichkeitsgrinsen, das ihm seine Frau abverlangt hatte, erstarb gänzlich, als er sah, welches Spiel seine Gastgeber aufgebaut hatten: »Trivial Pursuit. Das große Wissensquiz«. Kluftinger war sich sicher, dass dieses Spiel von Menschen wie Dr. Langhammer erfunden worden war, um Menschen wie ihn zu ärgern.
Als er am gläsernen Esstisch Platz nahm, versteifte sich sein Körper in Erwartung des Triumphgeheuls, das der Doktor bei einem Sieg mit Sicherheit anstimmen würde. Er hatte nämlich keinerlei Zweifel daran, dass es ein solches Ende nehmen würde, denn – da machte er sich keine Illusionen – Langhammer verfügte über das größere Allgemeinwissen. Schließlich hatte er studiert, auch wenn das nicht immer etwas heißen musste. Gerade bei Ärzten.
Die mutmaßliche Überlegenheit Langhammers ging schon beim Wortschatz los, der im Falle des Doktors offensichtlich wesentlich größer war als der des Kommissars. Immerhin nannte er seine Gartenliegen »Relax-Chairs«, nahm gerne mal ein »Convenience-Essen« zu sich, wenn Kluftinger einfach nur Brotzeit machte und sprach auch gerne seinen gesamten Denkvorgang mit, während Kluftinger nur das Ergebnis bekannt gab. Von Langhammers rudimentären Latein-, Französisch-, Spanisch- und Italienischkenntnissen ganz zu schweigen. Obwohl Kluftinger überzeugt war, dass er die Sprachen nicht perfekt beherrschte – ihm fehlte es an der Fähigkeit und vor allem an der Bereitschaft, derartiges »Name-Dropping« zu
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